Kristina Höch über ihre Recherche zu ihrem Buch über die filmischen Arbeiten des Gustaf Gründgens

Gustaf Gründgens und der deutsche Film – eine Hassliebe und eine Zweckgemeinschaft, die den Tausendsassa, der Herz und Hirn früh an das Theater verlor, in die Köpfe der Filmbesuchenden katapultierte. Der deutsche Film profitierte von Gründgens und Gründgens profitierte – auch aufgrund seiner Stellung im nationalsozialistischen Regime – in finanzieller und karrieretechnischer Hinsicht vom deutschen Film, wenngleich sich schon kurz nach Beginn der Kennenlernphase Ermüdungserscheinungen einstellten, die mit der Zeit in Misstrauen umschlugen.

Das Medium förderte seinen Bekanntheitsgrad über das Theater hinaus, transportierte sein Bild über Ländergrenzen hinweg, ist aus seiner Biografie nicht wegzudenken. Trotz aller Zweifel und Ärgernisse, an denen Gründgens als schwieriger Verhandlungspartner nicht unschuldig war, ließ der Film ihn nie ganz los, versuchte immer wieder sein Glück, lockte schließlich mit vertrautem Terrain und holte den vor Jahren kamerascheu Gewordenen auf die Leinwand zurück. Seine Filme halten ihn fest, ohne ihn ganz einzufangen, das vollständige, unmittelbare Erleben blieb den Theaterbesuchenden vorbehalten. Trotzdem sind diese Ausschnitte der Künstlerpersönlichkeit Zeitdokumente, die ihn unsterblich machen und gleichzeitig Einblicke in die Geschichte des deutschen Films geben.

«Mythos Gründgens nur was für Grufties?» lautet der Titel eines Zeitungsartikels von Gerda Kaltwasser aus dem Jahr 2000, der kürzlich seinen Weg in mein Gründgens-Sammelsurium fand. Selbst kein Gruftie im einen oder im anderen Sinn, würde ich dies vehement verneinen, zudem in den zwischenzeitlich vergangenen Jahren weder die Boulevardpresse noch die Wissenschaft müde wurde, sich mit «GG» zu beschäftigen. 

Interview mit Gustaf Gründgens in Mein Film 674, 1938, Privatarchiv.

«[…] und plötzlich sah ich mich also nur noch mit Ledermänteln und mit einer Bombe auf dem Kopf als Ganove und sagte halt. Also das stimmt nun überhaupt nicht mehr», erklärte Gründgens im Gespräch mit Günter Gaus kurz vor seinem Tod 1963 und betonte, wie unliebsam ihm seine Filmfiguren mitunter waren. Zwar keine Bombe, aber eine Melone auf dem Kopf und ein Ledermantel waren das Erste, was mir einfiel, wenn ich den Namen Gustaf Gründgens hörte. Sein Schränker in Fritz Langs M war nachhaltig in meinem Filmgedächtnis verankert, ebenso sein Mephisto, der seit 1960 stetig über Leinwände und Bildschirme flimmert.

Gustaf Gründgens als Schauspieler und Regisseur während des Dritten Reichs

Irgendwann sah ich einen anderen Film mit GG, vermutlich Ophüls LIEBELEI oder Hartls SO ENDETE EINE LIEBE und dachte: «Gründgens – was hat der denn noch so gemacht…». Privat sichte ich Filme meist nach Filmografien, schaue ungeachtet von Genre, Produktionsland und -jahr alles, was ich von bestimmten Schauspieler:innen oder Regisseur:innen bekommen kann – so auch alle verfügbaren Gründgens-Filme. Zu meinem großen Glück wurde seine erste Filmarbeit ICH GLAUB´ NIE MEHR AN EINE FRAU 2021 vom DFF in Frankfurt a. M. digitalisiert und restauriert, sodass ich fast alle Filme sichten konnte. Leider gelten YORCK und VA BANQUE weiterhin als verschollen, aber vielleicht tauchen sie irgendwann irgendwo auf und verifizieren meine durch Schriftgut gewonnen Erkenntnisse.

Parallel zur Bewegtbildrecherche las ich Monografien und Sammelbände zu seiner Person. Biografie und Theaterkarriere sind sehr detailliert und sehr gut aufgearbeitet, aber so recht zufrieden war ich als Filmwissenschaftlerin nicht: Wo war der Filmaspekt im Detail? Sein filmisches Œuvre sollte umfassend betrachtet werden, denn anhand seiner Filmografie lassen sich die Entwicklung des Mediums und die der politischen Gegebenheiten verfolgen.

Seine verbrecherischen, «hinterhältigen Monokelgalane» stechen hervor, sind aber nicht der einzige Typus den GG dem Kinopublikum zeigte, auch komödiantische und historische Rollen sind dabei. Nicht zu vergessen seine Regiearbeiten, in denen er vorweisen konnte, was er von den technischen Möglichkeiten des Films verstand. 1930 begonnen, endet seine Filmkarriere zunächst abrupt 1941 mit dem hetzerischen Propagandastreifen OHM KRÜGER. Wenngleich seine Mitarbeit in Letzterem nicht freiwillig war, ist unverkennbar, dass sich auch in seinen anderen filmischen Arbeiten, die im nationalsozialistischen Deutschland entstanden, Propagandainhalte finden lassen.

Autogramm von Gustaf Gründgens
Autogramm von Gustaf Gründgens (1933) in Robert Ramins Gustaf Gründgens – Bildnis eines Künstlers  aus der Reihe Illustrierte Filmbücher, Privatarchiv.

Weder problematische biografische Eckpunkte noch unterschwellige oder offenkundige Agitationen der Filme dürfen außer Acht gelassen werden. Seine Stellung in der Kulturlandschaft des Dritten Reichs sicherte ihm Vorteile, die er für sich und andere nutzen konnte, und macht ihn zu einer kontrovers diskutierten Persona, obgleich er seine Theaterkarriere nach seiner Entnazifizierung fortsetzte, und sich 1960 noch in zwei Filmen für die Nachwelt festhalten ließ – wobei ich betonen muss, dass er sich nur für zwei Filmofferten entschied und seine Filmografie insgesamt hätte umfangreicher ausfallen können. Angebote für filmische Schauspiel- und Regietätigkeiten erreichten ihn zwischen 1930 und 1963 stetig und in großer Zahl. Hätte Gründgens all diese Angebote oder nur einen Teil angenommen und hätten alle Filme, die ihn noch interessierten, realisiert werden können, hätte er die deutsche Filmlandschaft über Jahrzehnte mitgeprägt.

Vom Interesse zum Forschungsprojekt

Normalerweise sind meine Obsessionen mit Filmschaffenden eher von kurzer Dauer und nach Sichtung der Filmografien erledigt, aber über Gründgens’ filmische Arbeiten und deren Produktionsabläufe wollte ich nach wie vor mehr herausfinden.

Durch Publikationen und schon veröffentliche Materialien aus seinem Nachlass, empfand ich ihn als ambivalente, undurchdringliche Persönlichkeit, die es sich selbst und ihrem Umfeld nicht immer leicht machte. Ich wollte eruieren, wie Gründgens seine Filmkarriere vorantrieb oder bremste, vor welchen Schwierigkeiten und Unkalkulierbarkeiten er bei diesem Medium stand. Mit welchen Herausforderung sahen sich umgekehrt Produktionsfirmen und Kolleg:innen konfrontiert, die mit dem zeitweise schwierigen Multitalent arbeiteten? Inwieweit unterschieden sich die Darstellung in der Tages- und Fachpresse und das Bild, was Gründgens selbst von sich in der Öffentlichkeit produzierte, von der Privatperson? Welchen Einfluss hatten seine Beziehungen zu Vertretern des nationalsozialistischen Regimes? Es gab Fragen über Fragen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen.

Material hatte ich inzwischen umfangreich gesammelt und das filmwissenschaftliche Handwerk hatte ich in meinem Studium gelernt, warum also nicht ein offizielles Forschungsprojekt daraus machen, damit die bereits investierte Zeit nicht vertan war?

Von 2018 bis 2022 habe ich mich dann intensiv mit GG auseinandergesetzt. Egal, wo ich fragte, überall war etwas zu Gründgens zu finden, Personen, mit denen ich sprach, wussten fast immer etwas über ihn zu erzählen, sein Name war nie unbekannt. Angespornt durch die positiven Rückmeldungen auf mein Projekt, begann ich meine Recherche im Filmarchiv Austria, forschte in diversen Wiener Bibliotheken und im Theatermuseum Wien. Die Pandemie durchkreuzte so manche Planung und die Aufenthalte in Deutschland mussten warten. Aber die Hilfe von Kolleg:innen in Österreich und Deutschland machte alles wieder wett. Ich bin ihnen sehr dankbar für die Unterstützung in dieser herausfordernden Zeit, ohne die mein Vorhaben nicht ohne zeitliche und materielle Verluste umzusetzen gewesen wäre. Nachdem Reisen – wenn auch mit etwas mulmigen Gefühl – wieder möglich war, besuchte ich die Theatermuseen in München und Düsseldorf, machte Halt in der Staatsbibliothek zu Berlin, der Deutschen Kinemathek, dem Deutschen Filminstitut & Filmmuseum, dem Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin, im Bundesarchiv und in der Akademie der bildenden Künste. Zudem erhielt ich Unterstützung und Materialien von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Fernsehsendern sowie diversen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Es erwarteten mich Gründgens’ Nachlass, Produktionsunterlagen, Personalakten, Korrespondenzen, Interviews, Reden, Zeitungsartikel, Drehbücher, Pressematerialien, Zensurkarten, Interviews und Vorstandsprotokolle.

Es war eine spannende Zeit, in der ich nicht nur relevante Unterlagen gefunden, sondern auch wichtige Erfahrungen gemacht und viele tolle Menschen getroffen habe. Die – im positivsten Sinn – ausgeartete private Recherche hat sich allemal gelohnt. Nach und nach konnte ich einen umfassenden Eindruck von Gründgens’ Filmen gewinnen und für mich selbst das Bild, das ich von seiner Person hatte, zufriedenstellend ergänzen. Ich hoffe, dass die in meinem Buch festgehaltenen Erkenntnisse auch allen anderen Interessierten eine neue Perspektive auf Gustaf Gründgens vermitteln können.

Kristina Höch

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