5.1. 1941

„Bevor ich ihn traf, stellte ich mir Hayao Miyazaki immer als Baum vor, nicht als Mensch“, sagte die Darstellerin Yumi Tamai einmal. Wer die Filme des japanischen Animationsmeisters gesehen hat, kann das vielleicht verstehen. Er ist einer der erfolgreichsten Filmemacher der Welt, aber eben auch ein überzeugter Aktivist, der in seinen Werken stets den rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt thematisiert. Miyazaki zieht sich regelmäßig in die uralten Wälder der Insel Yakushima zurück – die knorrigen, riesenhaften Bäume dieser Region dienten als Inspiration für viele seiner Filme.

Die zweite große Leidenschaft, die sich neben dem Naturschutz immer wieder in Miyazakis Filme einschleicht, ist die Luftfahrt. Kein Wunder, schließlich baute sein Vater Flugzeuge. Dabei sind es vor allem die europäischen Modelle, die den Animationskünstler von kleinauf begeistern, denn Miyazaki schwankt ständig zwischen der japanischen und der europäischen Kultur. Während er in Porco Rosso oder Das Schloß im Himmel in mediterranen Landschaften und mittelalterlichen Fachwerkhäusern schwelgte, breitete er in Chihiros Reise ins Zauberland und Prinzessin Mononoke mit archaischen Rachegöttern und freundlichen Fluß- und Waldgeistern ein ganzes Pandämonium japanischer Folklore vor dem staunenden Zuschauer aus. Genauso vielfältig mischt Miyazakis Zeichenstil auch klassische japanische Maltechniken mit europäischer Tiefenperspektive.

Die Anfänge Miyazakis sind mit seinem Produzenten Toshio Suzuki eng verknüpft: Dieser war Lokaljournalist, bevor er zu einem Anime-Magazin versetzt wurde. Dort versuchte er mehrfach, den damals noch unbekannten und sehr schüchternen Miyazaki zu einem Interview zu überreden. Statt dessen besprachen die beiden Filmideen und gründeten schließlich gemeinsam das inzwischen legendäre Studio Ghibli. Um das erste gemeinsame Projekt Nausicaa zu finanzieren, zeichnete Miyazaki vorab eine Manga-Version, und als diese sich erfolgreich verkaufte, gaben auch die Filmstudios grünes Licht. Nausicaa wurde mit über einer Million Zuschauern der erste in einer langen Reihe sensationeller Ghibli-Erfolge.

In Japan, wo Zeichentrickfilme traditionell in eine Erwachsenen- und eine Kindersektion aufgespalten sind, waren Miyazakis ebenso kindlich-optimistische wie erwachsen-nachdenkliche Werke nichts weniger als eine Revolution. Prinzessin Mononoke war 1997 der erfolgreichste japanische Film aller Zeiten, der Nachfolger Chihiros Reise ins Zauberland brach diesen Rekord 2002 erneut und erhielt zudem einen Oscar und einen Goldenen Bären auf der Berlinale. Dabei will der milde Herr, der seit Menschengedenken eine schlohweiße Heintje-Frisur zu seiner schwarzen Hornbrille trägt, seine Zuschauer laut eigener Aussage nur glücklich machen.
Auch andere Animatoren machte der Altmeister glücklich. Schon bei Nausicaa ließ er die unvergeßliche Klimax von einem Neuling namens Hideaki Anno animieren, der später mit seinem eigenen Studio Gainax und der Serie Neon Genesis Evangelion selbst Anime-Geschichte schreiben sollte. Und als ersten Ghibli-Film ohne Miyazaki durfte der Altmeister Isao Takahata 1988 den Antikriegsfilm Die letzten Glühwürmchen inszenieren, der noch heute als einer der erschütterndsten Animationsfilme überhaupt gilt. Und schließlich konnte auch sein Sohn Goro Miyazaki im Studio Ghibli mit Die Chroniken von Erdsee bereits einen eigenen Film realisieren. Für die Zukunft ist also gesorgt.

Hayao Miyazaki

Dieser Beitrag ist im Filmkalender 2011 erschienen. Auch in der aktuellen Ausgabe des Filmkalenders gibt es Porträts und spannende Beiträge.