Ein Auszug aus Manuel Palacios kleiner (Sozial-) Geschichte des spanischen Fernsehens

Was für ein Fernsehen wurde im Spanien der Krise produziert? Es erübrigt sich, daran zu erinnern, wie stark das Land von der wirtschaftlichen Rezession zwischen 2008 und 2013 betroffen war. Zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als würde die EU in die nationalen Belange eingreifen. Allerdings hat diese Frage Spanien, wo man vor allem um die Neutralität und die Beeinflussung der Nachrichtensendungen besorgt war, kaum Interesse hervorgerufen.

Weg von der Krise ins kalte Berlin: BUSCANDO EL NORTE (2016), © Aparte producciones, Antena 3, Divisa Home Video
Ein Fernsehen für die Krise und die Zeit danach (seit 2009)

Paolo Vasile, Vorsitzender des Verwaltungsrats von Tele 5 und damit verantwortlich für einen Sender, der aus der Unterhaltung seine Hauptangelegenheit gemacht hat, ging so weit zu sagen:

Das Fernsehen erfüllt mehr als je zuvor seine soziale Funktion: ein Begleiter zu sein. In Krisenzeiten wird mehr Fernsehen als sonst geschaut, auch wenn es für uns weniger rentabel ist.

Paolo Vasile

Es mag sein, dass sich im Spanien der Krise ein neues Modell des politischen Fernsehens herausgebildet hat, wie etwa in dem Sender La Sexta oder sogar in den Partnersuchformaten mit extravaganten Personen wie Mujeres y hombres y viceversa. Am leichtesten jedoch findet man die Spuren einer Gesellschaft in der Krise in den fiktionalen Produkten. Crematorio (Canal +/Movistar +, 2011), die als eine der besten Serien gilt, die jemals in Spanien gemacht wurden, kann als der große Wurf über Korruption im Immobiliensektor angesehen werden. Im Bereich des Kostumbrismus sei an die Darstellung der Bewohner eines Campingplatzes in Con el culo al aire (Antena 3, 2012) erinnert oder an die Auswirkungen der Krise auf eine Generation, die mit dem Gedanken spielt, nach Europa auszuwandern, wie in Buscando el norte (Antena 3, 2016). Hier ist allerdings anzumerken, dass 30-Jährige, die im Elternhaus leben, in spanischen Fernsehfiktionen häufig zu sehen sind und nicht im engeren Sinne auf die Krise verweisen, wie in der zu Recht gelobten Serie Siete vidas (Tele 5, 1999) oder in Merlí, der katalanischen Serie, in der die Hauptfigur ihren Wohnsitz verliert und mit über 50 Jahren wieder zu ihrer Mutter zieht (TV3, 2015).

Das Muster der zeitgenösisschen kostumbristischen spanischen Fernsehkomödien von 70 Minuten Länge breitete sich auf andere Sparten und fiktionale Gattungen aus. Darin flossen die Debatten um die spanische Erinnerungskultur mit der Notwendigkeit der Fernsehindustrie zusammen, nach der Krise wieder zu sich selbst zu finden. Erstere brachten Serien und Miniserien auf historischer Basis hervor und letztere unterschiedliche innovative Formate, von denen sich viele um Frauen drehen und von der spanischen Industrie für den Export bestimmt sind.

Frauen in Spanien

Die Soziologie konnte bisher nicht erklären, warum gerade Spanien nach 2000 und im Besonderen nach der Krise von 2008 zu einem der Länder mit der größten Sensibilität für die Rechte der Frauen geworden ist. Gewiss spielt dabei die Politik der Regierung von Präsident José Luis Rodríguez Zapatero (2004–2011) eine Rolle, die 2004 in Europa das erste Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedet hat. Aber das kann nicht der einzige Grund dafür sein. Als am 8. März 2018, also am Internationalen Frauentag, weltweit demonstriert wurde, gab es in Spanien zusätzlich noch einen Streik. Im internationalen Vergleich kommt Spanien weltweit auf die zahlenmäßig größten Demonstrationen, und die internationale
Presse wundert sich über den Erfolg, den der Aufruf in spanischen Städten – egal welcher Größe – gehabt hat. Hier kommt zum Ausdruck, was sich in der letzten Zeit hintergründig entwickelt hat, nämlich, dass die spanischen Frauen ebenso stolz auf ihre Lebensbedingungen wie empört über ihre Einschränkungen sind, und dies äußert sich auch in den innovativen spanischen Fernsehfiktionen in dieser Zeitspanne.

Frauen im Vordergrund: die Gefängnisserie VIS A VIS (2015–2019), © Globomedia / Antena 3 / FOX España

Im letzten Jahrzehnt wurden in Spanien nicht selten Serien mit selbstbewussten weiblichen Hauptfiguren produziert, wie etwa die hoch gelobte Aida (Tele 5, 2005–2014) oder El tiempo entre costuras (Antena 3, 2014). Es fehlt auch nicht an spanischen Serien, die der Eindimensionalität der Männerfiguren einen beachtlichen emotionalen Reichtum der Frauenfiguren entgegenhalten, wie im Falle von Los Serrano (Tele 5, 2003–2008). Sogar Serien mit einem eher männlichen Profil, wie die mehr als verdienstvolle Fariña (Cocaine Coast auf Netflix, Antena 3, 2018) über die Drogenringe in Galicien, fächern ein beeindruckendes weibliches Panorama auf.

Fest steht, dass es sich in vielen Fällen, in denen es spanische Produktionen auf den internationalen Markt geschafft haben, um Serien mit weiblichen Hauptfiguren handelt. Dabei fügen sie der Handlung übrigens fast immer einen gewissen Touch Fernseh-Soap hinzu, als läge die Eigenart spanischer Produktionen im globalen Vergleich in den Frauen.

Manuel Palacio

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