Es sind Bilder von strahlenden Soldaten, die frohen Mutes an die Frontlinie marschieren. Der britische Film The Battle of the Somme, der zwischen dem 25. Juni und 10. Juli 1916 entstand, wird heute als erster großer Dokumentarfilm betrachtet. Und somit gilt seine Uraufführung seither als Geburtsstunde des Dokumentarfilms.

Im Sommer 2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal. Am 1. August 1914 begann in Europa ein Krieg, an dem bis zum Jahr 1918 insgesamt 40 Länder teilnahmen. Der Krieg zerstörte das alte Europa – und schaffte die Voraussetzungen für den zweiten, noch fürchterlicheren Weltkrieg.

Der Erste Weltkrieg war nicht nur ein Material- sondern auch der erste Medienkrieg. Bilder dokumentierten und deuteten gleichermaßen das Geschehen. Wegen der riesigen Anzahl involvierter Soldaten und Zivilisten – allein im Deutschen Reich waren rund 13 Millionen Männer einberufen – war nahezu die gesamte Bevölkerung betroffen und lechzte nach Informationen. Selbst die beteiligten Soldaten konnten nur schwer das gesamte Ausmaß des Krieges überschauen, von den Daheimgebliebenen ganz zu schweigen.

Der erste Medienkrieg

So wurde der Film zum vertrauenswürdigen Informationsmedium, nicht nur im Deutschen Reich. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges gab es nach Schätzungen weltweit bereits 60 000 Kinos, rund 3 000 davon in Deutschland. Die Filme genossen bei den Zuschauern den Ruf – anders als die Zeitungen –, die Realität objektiv darzustellen.

Die Erwartung des Publikums war dementsprechend hoch – und für die Kameraleute nur schwer zu erfüllen. Obwohl während des Krieges tatsächlich zahlreiche Kameraleute überall an der Front zu filmen versuchten, veröffentlichten nur wenige ihr Filmmaterial. Zum einen stand die deutsche Heeresleitung der Film-Berichterstattung sehr skeptisch gegenüber. Sie fühlte sich von den Kameraleuten in ihrer Arbeit behindert oder sah in ihnen schlimmstenfalls sogar Spione. Deshalb ließ sie die Filmer nur äußerst selten zur Kampf-Front durch. Und wenn es ein Filmteam geschafft hatte, stand guten Bildern oftmals die unhandliche Ausrüstung im Weg. Zudem waren vor allem bei Nacht, während der die meisten Kämpfe ausgetragen wurden, Aufnahmen gar nicht erst möglich, da das Filmmaterial nicht lichtempfindlich genug war.

Filme im Dienst der Obersten Heeresleitung

Ab 1916 änderte sich die Sichtweise der Militärführung auf das Medium Kino. Sie erkannte, welch große Einflussmöglichkeit ihnen Filme gaben: Eine «militärische Film- und Photostelle» des Auswärtigen Amtes begann, eigene Filme für die Kinos herzustellen. Dazu wurden Filmtrupps eingerichtet, die heute als Vorläufer der berüchtigten Propagandakompanien des Zweiten Weltkrieges gelten.

Auch die ersten animierte Filme dienten der Kriegsführung: In diesem Wochenschau-Film aus dem Jahr 1917 wird für die Kriegsanleihe geworben: Man sieht wie ein Soldat das eingeworbene Geld aussät und Flugzeuge, Panzer und Fabriken wachsen. (Quelle: Deutsches Filminstitut [DIF])

Ihre Dokumentarfilme, meist ein Zusammenschnitt aus vorhandenen Kriegsfilmberichten und eigens dafür erstellten Kriegsaufnahmen, machten sich das Vertrauen des Publikums zu Nutze. Die Filmaufnahmen sollten den Eindruck vermitteln, die Berichterstattung folge unmittelbar der Wirklichkeit. Doch viele der Szenen, die Schützengräben, Sturmangriffe und gewaltige Explosionen zeigen, wurden erst viel später auf militärischem Übungsgelände nachgestellt.

Die Filme sollten sinnstiftend sein. Zwei der bekanntesten Beispiele sind der englische Film The Battle of the Somme und die deutsche Antwort darauf: Bei unseren Helden an der Somme. Die Schlacht, die im Juli 2016 begann und bis in den November dauerte, war eine der grausamsten und blutigsten überhaupt. Insgesamt 2,5 Millionen vor allem deutsche und britische, aber auch einige französische Soldaten waren daran beteiligt. Eine Million Menschen starben, ohne dass auch nur eine der beiden Parteien am Ende irgendeinen einen militärischen Vorteil gewonnen hätte.

Propagandakrieg

Die Schlacht an der Somme hätte also gut als Symbol für die Sinnlosigkeit dieses Krieges dienen und die Bevölkerung gegen die militärische Führung aufbringen können. Gegen einen solchen Vertrauensverlust versuchten zunächst Großbritannien und dann auch das Deutsche Reich mit Dokumentationsfilmen entgegenzuwirken.

Deutscher Sturmwagen in Roye

Die britische Version erschien noch vor Ende der Kämpfe am 10. August 1916 in den Kinos. Seine Uraufführung gilt seither als Geburtsstunde des Dokumentarfilms. Bemerkenswert an diesem Film ist die schonungslose Darstellung des Krieges. Der Zuschauer sieht erschöpfte und tote Soldaten sowie vollkommen verwüstete Landschaften in einer Intensität, die es vorher nicht gab. Diese Härte schockierte das Kinopublikum und entfachte eine Debatte über die filmische Darstellung von Kriegshandlungen. Die besondere Anordnung der Bilder machte aus dem Film jedoch ein dramatisches Ereignis, mit Hauptfiguren, Spannungsbogen, einem Höhe- und Wendepunkt und einem Schluss. Die Dramaturgie erfüllte ihren Zweck: Sie weckte Sympathie für die Soldaten und die britische Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Die Schlacht an der Somme ist als erster Dokumentarfilm der Filmgeschichte Bestandteil des UNESCO-Weltdokumentenerbes.

Auch die deutsche Seite erkannte das Propaganda-Potenzial des Kinos und reagierte mit einem eigenen Somme-Film, Bei unseren Helden an der Somme, der am 19. Januar 1917 in die Kinos kam, als die Schlacht bereits zu Ende war. Es war der erste Film des neugegründeten «Bild- und Filmamts» (BUFA) und ein Versuch der Heeresleitung, der allgegenwärtigen Bildpropaganda der Alliierten etwas Eigenes entgegenzusetzen.

The Battle of the Somme ist aus heutiger Sicht ein großer Propagandafilm. Dass «Propaganda» etwas Verwerfliches sein könnte, wurde erst eine Generation später bewusst. Bis dahin war es lediglich eine möglichst effektive Werbestrategie.

Bewahrung und Sicherung des Filmerbes

Ein Großteil des Filmmaterials aus dem Ersten Weltkrieg ist heute verschollen – Schätzungen gehen von vier Fünfteln aus. Der Rest lagert meist auf Filmrollen in unterschiedlichsten Archiven. Das Projekt «Euro paen Film Gateway» (EFG 1914), das federführend vom Deutschen Filminstitut (DIF) betreut wird, digitalisiert seit gut zwei Jahren nach und nach das übrig gebliebene Filmmaterial und macht es über das Onlineportal www.europeanfilmgateway.eu und die europäische, digitale Bibliothek Europeana allen Interessierten zugänglich. Die Portale bieten kostenlosen Zugriff auf hunderttausende filmhistorische Dokumente, die in 16 europäischen Filmarchiven und Kinematheken verwahrt werden.

Seit dem Ersten Weltkrieg hat sich die Darstellung von Kriegsgeschehen in den Medien stark gewandelt. Doch noch immer sind Kriegsbilder von jedem anders interpretierbar. Wer sich Kriegsdarstellungen ansieht, muss sie verstehen, interpretieren und einordnen. Denn sie können Dokumente, Beweise oder Unterhaltung sein, nüchterne Information oder zielgerichtete Propaganda.

Sybille Möckl

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