Funktioniert Witz in Schweizer Genrefilmen?

Locarno Film Festival, 2012: Es ist der 10. August, ein sommerlicher Abend auf der Piazza Grande bei gefühlten 25 Grad. Genau die richtige Temperatur also, um sich eine Horrorkomödie anzuschauen. Noch dazu eine ‹made in Switzerland› und als Premiere vor dem grössten Freiluftkino-Publikum in Europa – das hat Seltenheitscharakter. Regisseur Michael Steiner wird mit seinem neuesten Werk Das Missen Massaker (CH 2012) diese Ehre zuteil, was das Interesse sowie die Erwartungen an den Film schon seit seiner Bekanntgabe schürt.

Kein Wunder, sind die zum Wippen ungeeigneten, gelbschwarzen Plastikstühle im Herzen der Altstadt schnell bis in die letzten Reihen gut besetzt. Sie sind aber auch genauso schnell wieder leer. Schon nach zwanzig Minuten ergreifen die ersten der insgesamt 8000 Zuschauer_innen die Flucht. Einige kopfschüttelnd, andere pfeifend oder ‹buh› rufend. Zwar gibt es auch immer wieder Lacher aus einzelnen Ecken, doch die Cineasten-Flucht hält an, und auch der Schlussapplaus fällt – nicht nur des geschrumpften Publikums wegen – ziemlich verhalten aus.

Das Missen Massaker (2012), © filmcoopi

Warum rief die satirische Story um mehrere junge Missen, die ein Killer auf einer tropischen Insel samt Entourage ins Jenseits befördert, bei den Zuschauer_innen solch gemischte Reaktionen hervor? Immerhin hatte Michael Steiner schon bewiesen, dass er nicht nur Familienunterhaltung (Mein Name ist Eugen, CH 2005) konnte, sondern auch Horror-Stoff. Zwei Jahre vor dem ‹Massaker› hatte er mit Sennentuntschi (CH 2010) den Schweizer Genrefi‘lm – falls es diesen bis dato überhaupt gegeben hatte – quasi wiederbelebt, trotz holpriger Finanzierungsgeschichte wohlgemerkt. Steiners wendungsreicher Alpengrusel bekam in der Folge mit ‹Toblerone-Horror› sogar eine eigene Bezeichnung, und der Filmemacher sicherte sich in besagtem Jahr damit den Spitzenplatz unter den einheimischen Produktionen.

Sennentuntschi vermischte eine alte Volkssage gekonnt mit Mystery-Elementen und blieb im Grundton entsprechend ernst. Eine Slasher-Parodie, die sich über die ein Jahr zuvor vom Schweizer Fernsehen abgesetzten Miss-Schweiz-Wahlen lustig machte, traf da scheinbar weniger den Nerv der Zeit. Auch die meisten Filmjournalist_innen waren wenig gnädig, nach der Premiere in Locarno titelten sie: «Ein Massaker an der Piazza Grande», und bemängelten, dass der Film nicht witzig oder spannend sei und so weder als Satire noch als Horror‘film richtig tauge.

Humor und Suspense

Beides auf stimmige Art und Weise zu verbinden, kann sehr gut gelingen. Laut der Filmtheoretikerin Jule Selbo sind sowohl für die Komödie als auch für den Horrorfi‘lm Übertreibung und Absurdität unerlässlich. Die Idee dieser Sparten ist dieselbe: die Figuren in extreme Situationen zu bringen und so eine direkte Reaktion des Publikums hervorzurufen.

Diese Verschmelzung funktionierte beispielsweise wunderbar im Scream-Franchise (ab 1996), in dem Horror-Altmeister Wes Craven mit Leichtigkeit postmodernen Humor mit viszeralem Horror verknüpfte und mit der Nostalgie der Blütezeit des Slashers spielte. Auch in ausgewiesenen Trashfi‘lmen, die sich grundsätzlich nicht allzu ernst nehmen, sowie in Parodien wie Scary Movie (Keenen Ivory Wayans, US 2000) kann der Humor funktionieren. Diese Filme richten sich meist direkt an eine treue Fangemeinde und an ein jugendliches Publikum.

War also das ältere, cineastisch-anspruchsvollere Locarno-Publikum einfach die falsche Zielgruppe für Das Missen Massaker? Denn es gab durchaus auch spätere, wohlwollendere Kommentare zum Film, als dieser regulär im Kino anlief. So war damals auf der Plattform meinkino.ch zu lesen: «Mordsmässig witziges Missen-
Spektakel, rasant und makellos realisiert!» Das Kulturfernsehen im Netz – arttv.ch – resümierte gar: «Beste Unterhaltung auf internationalem Niveau.» Insgesamt lockte Steiners Film 2012 genau 15’156 Zuschauer_innen in die einheimischen Lichtspielhäuser und verblieb in der Jahreswertung immerhin auf Platz 12 der schweizerischen Jahres-Top-25.

Natürlich gibt es nie eine Garantie dafür, dass Humor in Filmen generell und in Genrefi‘lmen im Besonderen funktioniert. Doch vielleicht ist die Lesart zwischen Kritik und Publikum gerade in dieser spezielleren Nische nochmals eine andere und splittet sich ferner selbst noch stärker in den persönlichen Geschmack und die jeweilige Altersgruppe. Was könnten also mögliche inhaltliche Gründe gewesen sein, weshalb in diesem Fall, und in anderen Schweizer Genrefi‘lmen, der Witz grösstenteils nicht funktionierte? Oder vertragen sich gar Humor und Genre in der Schweiz nicht und, falls dies der Fall ist, weshalb ist das so?

Sarah Stutte

Lesen Sie weiter im Schweizer Filmjahrbuch CINEMA #68: Humor.

Oder treffen Sie Sarah Stutte am 24.1.23, um 12 Uhr,
im Uferbau (Ritterquai 10, 4500 Solothurn) bei einer Veranstaltung zu
„Humor im Schweizer Film“ im Rahmen der Solothurner Filmtage.