Vom persönlichen Verlust zur globalen Gerechtigkeit: Ein Blick auf das filmische Schaffen und die Themen der bedeutenden Regisseurin Ava DuVernay

Ava DuVernay ist wahrscheinlich eine der bekanntesten und einflussreichsten afroamerikanischen Regiesseurinnen zurzeit. Sie kann auf eine Vielzahl erfolgreicher Spiel- und Dokumentarfilme zurückblicken und war maßgeblich an der Sicherung von Produktionsaufträgen für afroamerikanische Kolleginnen beteiligt. DuVernay ist Mentorin vieler Regisseurinnen und setzt sich dafür ein, die Dynamik der Ausgrenzung Schwarzer Frauen im Hollywood-System zu wandeln.

Ava DuVernay akzeptiert den Peabody Award 2017 für ihren Film 13TH.
(© Stephanie Moreno / Wikimedia Commons)
ORIGIN

DuVernays neuester Spielfilm Origin aus dem Jahr 2023 basiert auf Isabel Wilkersons Buch Caste: The Origins of Our Discontents aus dem Jahr 2020. Origin ist ein biografischer Film, der Wilkerson in den Mittelpunkt der Erzählung stellt und erklärt, warum und wie sie dazu kam, das Buch Caste zu schreiben. Ähnlich wie die Hauptdarstellerin dieses Films arbeitete DuVernay zu Beginn ihrer beruflichen Karriere als Journalistin, was jedoch dazu führte, dass sie von der Nachrichtenberichterstattung desillusioniert war und stattdessen Filmemacherin wurde.

Erst nachdem sie die Audio-Kassetten von Trayvon Martins Ermordung anhört, entschließt sich Isabel Wilkerson, ihr neues Buch über «Caste» zu recherchieren. (© Decal Bleecker)

DuVernay lebt und arbeitet in Los Angeles. Sie ist gebürtige Kalifornierin und wurde 1972 geboren. DuVernay schloss ihr Studium an der University of California, Los Angeles (UCLA) mit einem Doppelstudium in englischer Literatur und afroamerikanischen Studien ab. Eines der Schlüsselelemente ihres Erfolgs ist ihre unabhängige Produktionsfirma «ARRAY», die sie 2010 unter dem Namen «African-American Film Festival Releasing Movement» (AFFRM) gegründet hat und die sich nun verstärkt auf Filmemacherinnen konzentriert.

Als Origin im September 2023 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde und um den Hauptpreis, den «Goldenen Löwen», konkurrierte, war DuVernay die erste afroamerikanische Regisseurin, die es in die engere Auswahl für diese höchste Auszeichnung geschafft hatte. Sie führte Regie, schrieb und produzierte Origin selbst.

Trauer: Das Persönliche mit dem Politischen verbinden

Im Kern geht es in dem Film um Trauer. Die Protagonistin trauert um ihren Ehemann, ihre Mutter und einen Cousin, die alle sterben. Sie trauert auch um Trayvon Martin, den jungen Afroamerikaner, der 2012 in einem überwiegend weißen amerikanischen Wohnviertel erschossen wurde, während er einen Kapuzenpullover, sogenannten «hoodie», trug. Er war erst 17 Jahre alt.

Der in Florida geborene und aufgewachsene Junge wurde von einem 28-jährigen Mann, George Zimmermann, ermordet, der dem Teenager mit seinem Wagen gefolgt war, als Martin nachts in einem Wohngebiet auf dem Bürgersteig nach Hause lief. Zimmermann gehörte zu einer freiwilligen Nachbarschaftswache und war bewaffnet. Er schoss aus nächster Nähe auf den Jungen und behauptete anschließend, er habe in Notwehr gehandelt. Zimmermann wurde keiner Straftat beschuldigt und sein Prozess endete ohne Verurteilung.

Der Mord and Trayvon Martin (Miles Frost) wird zum Anlass, dass Isabel Wilkerson (Aunjanue Ellis-Taylor) sich bereit erklärt, ein Buch über das Kastensystem zu recherchieren. Diese Aufgabe führt sie von Amerika nach Deutschland und Indien. (© Decal Bleecker)

Indem Ava DuVernay die persönlichen Verlustgeschichten der Protagonistin Isabel Wilkerson (Aunjanue Ellis-Taylor) mit der bekannten Geschichte des Mordes an Trayvon Martin verbindet, verknüpft sie die Erfahrung, den Prozess und den Schmerz privater Trauer mit öffentlicher Trauer. Auch wenn der Tod von Wilkersons Partner und Familienmitgliedern nicht durch einen gewaltsamen Übergriff, sondern durch nachlassende Gesundheit und Alter verursacht wurde, überschneiden sich die Geschichten der Familienmitglieder und die der Opfer für die Protagonistin, die von dem Gefühl des Verlusts beherrscht wird.

Die Filmerzählung wird noch weiter ausgedehnt, um andere Geschichten von Opfern einzubeziehen: von Nazideutschland, dem Holocaust und dem Völkermord im Zweiten Weltkrieg bis nach Indien, wo Wilkerson den Status der untersten Kastenmitglieder untersucht, die von der Gesellschaft gemieden und ausgestoßen werden. Hier überschneidet sich das Thema «Kaste» mit den ausgrenzenden und segregierenden Praktiken des Rassismus und Antisemitismus, wie sie in Nazideutschland praktiziert wurden.

Sowohl Wilkerson als auch DuVernay sehen eine Kontinuität des Leidens von der Middle Passage – der erzwungenen Reise versklavter Afrikaner über den Atlantik in die Neue Welt – über die Jim-Crow-Gesetze im amerikanischen Süden, den Faschismus und seine rechtsextreme Ausgrenzungspolitik bis hin zu den schmerzhaften Realitäten der Klassentrennung in Südasien.

Die Suche nach den fehlenden Puzzleteilen

Mit ihrer Entscheidung, Gewalt anzudeuten, ohne sie explizit zu zeigen, und ihr Publikum der subjektiven Sichtweise der Schwarzen Protagonistin auszusetzen, folgt DuVernay einer ähnlichen Strategie wie jener, die von zeitgenössischen Schwarzen Nachwuchsregisseuren in den Vereinigten Staaten praktiziert wird.

Ava DuVernay schafft ein Puzzle aus visuellen Elementen, und das Werbeplakat für Origin zeigt tatsächlich das Profil der Schauspielerin Aunjanue Ellis-Taylor. Ihr Körper ist zersplittert und die Puzzleteile brechen ab, was möglicherweise auf ihre Trauererfahrung hinweist. Man könnte die Forschungsarbeit, die Wilkerson leistet, um Informationen über den Rassismus in den Vereinigten Staaten, faschistische Ideologien während des Zweiten Weltkriegs und das indische Kastensystem zu sammeln, mit der Suche nach den fehlenden Teilen eines Puzzles vergleichen.

DuVernays Entscheidungen in Bezug auf die visuelle Erzählung, die Kameraführung, die zeitliche Abfolge der Ereignisse und die Verwendung eines sehr persönlichen Blickwinkels schaffen in der Tat eine ganz eigene Bildsprache.

Karen A. Ritzenhoff

Ein gekürzter Beitrag aus dem Buch Von Harriet zu Queen and Slim: Afro-Amerikanische Regisseurinnen und ihre neuen Bilderwelten.

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