Darstellungen Skandinaviens in Literatur und Film der Gegenwart

Wenn man sich in der deutschen medialen Öffentlichkeit umschaut, fällt deutlich die starke Präsenz von Skandinavienbildern in Film und Fernsehen sowie in Literatur und Presse auf. Hierzulande erfreuten sich nicht nur die inzwischen international beliebten Skandinavien-Krimis früher Beliebtheit, Nordic Noir-Serien und andere skandinavische TV-Produktionen entstehen zudem heute häufig mit deutscher Beteiligung. Darüber hinaus lässt sich das auffallend große Interesse an den nordischen Ländern an der Vielzahl der Skandinaviendarstellungen aus deutscher Perspektive ablesen.

Im Rahmen dieser Gruppe der Heteroimages vom Norden stechen im Bereich des deutschen Unterhaltungsfernsehens besonders zwei Fernsehreihen hervor: Inga Lindström und Liebe am Fjord spielen an pittoresken schwedischen und norwegischen Schauplätzen, wo sich allerlei Liebeshandlungen, Verwirrungen und Intrigen mit garantiertem Happy End entspinnen. Wie nicht nur diese Serien beweisen, verbinden die deutschen Zuschauer – anders als etwa das britische Publikum – Skandinavien nicht ausschließlich mit Vorstellungen brutaler Kriminalfälle oder Visionen einer gewalttätigen, von Wikingern beherrschten Vorzeit. Vielmehr stützen sich deutsche Imaginationen des europäischen Nordens bevorzugt einerseits auf idyllisch-nostalgische Visionen vertrauter Kindheitsparadiese – schließlich entstanden auch die Pippi-Langstrumpf-Verfilmungen einst als deutsche Koproduktionen. Zum anderen erscheint Skandinavien mit seiner weitläufigen Natur trotz des kühlen Klimas als perfekte Reise- und Urlaubsregion, wie sie schon vor fast hundert Jahren Kurt Tucholskys mehrfach verfilmter Bestseller Schloss Gripsholm in leicht humoristischer Brechung präsentierte und wie sie in realiter und ganz ironiefrei nicht zuletzt von Kaiser Wilhelm II. geschätzt wurde.

Die in völkischen Vorstellungen wurzelnde Vorliebe des letzten deutschen Monarchen für ‚Nordlandfahrten‘ rückt die politisch-ideologische Dimension der deutsch-skandinavischen Beziehungen in den Vordergrund, die – vom Schleswig-Holstein-Konflikt einmal abgesehen – nach langen Jahren friedlicher Koexistenz und lebhaften kulturellen Austauschs unvermutet in die Aggression der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg mündete. Dass sich das skandinavisch-deutsche Verhältnis heute nach diesen kriegerischen Auseinandersetzungen weitgehend normalisiert hat, man die Deutschen wieder willkommen heißt und u.a. in der schwedischen Region Östergötland gutgelaunt touristisches Kapital aus dem Inga Lindström-Fieber schlägt, sollte nicht den Blick darauf verstellen, dass die deutsche Affinität zu Skandinavien schon lange vor der im Zweiten Weltkrieg erfolgten militärischen Einverleibung von problematischen Vereinnahmungstendenzen geprägt war, die bis heute nachwirken.

Ein Mann, ein Fjord (R: Angelo Colagrossi, D 2009)

Spätestens seit den im 19. Jahrhundert erfolgten Prozessen nationaler und kultureller Identitätsbildung, die nach der Ablösung von den vorherrschenden antiken Vorbildern die Essenz des Deutschtums an die in Deutschland spärlich vorhandene aber in den nordischen Ländern in zahlreichen Zeugnissen erhaltene ‚germanische‘ Überlieferung koppelten, wurde Skandinavien zum selbstergänzenden, freundlichen Other der Deutschen stilisiert, zur „fremden Heimat“, wie Thomas Mann das deutsche Zugehörigkeitsgefühl zum Norden umschrieb.

Diese evokative Bezeichnung und die in ihr enthaltene Erwartungshaltung an die nordischen Länder prägen bis heute die deutschen literarischen und filmischen Repräsentationen Skandinaviens. Die Region erscheint typischerweise als ein Erkenntnisraum, ein Ort der potenziellen Selbstfindung, die häufig durch die beeindruckende Qualität der nordischen Naturphänomene, insbesondere des Nordlichts, befördert wird.

Implizit wird davon ausgegangen, dass diese epistemologischen Erfahrungen im Norden auch oder sogar in besonderem Maße für Deutsche zugänglich sein sollten. Diese Vermessenheit einer von kolonialistischen Zügen geprägten Anspruchshaltung wird zu Recht in einigen der in Skandinavien spielenden Erzählungen und Filme abgelehnt. In Werken von Autorinnen wie Judith Hermann und Filmemachern wie Till Franzen wird die Instrumentalisierung des Nordens zur Erfüllung deutscher Fantasien desavouiert und klassische deutsche Norddiskurse werden in Frage gestellt. Hier wird Skandinavien weder als heimatlicher Raum angesehen noch fungiert die Region als Ort einer erfolgreichen Selbstfindung, Sinnsuche oder Versöhnung.

Trotz der Präsenz dieser in den letzten Jahrzehnten mehrfach artikulierten Appropriationskritik reißt besonders im Bereich von Film und Fernsehen die Reihe gegenläufiger Repräsentationen bisher nicht ab, in denen weiter auf naive bis anstößige Weise tradierte deutsche Aneignungsfantasien und Superioritätsgefühle gegenüber den ‚kleineren‘ nordischen Nachbarstaaten ausgelebt werden. Beispielsweise schreckt Matthias Glasner nicht davor zurück, in Gnade seine deutschen Aussteiger auf ihrem Selbsterfahrungstrip dort anzusiedeln, wo die Wehrmacht Jahrzehnte zuvor nur verbrannte Erde hinterlassen hatte. Obendrein benutzt der Regisseur diese Region als Kulisse für eine mit religiösen Anklängen versehene Erlösungsgeschichte, die sich zu Lasten der auf die Rolle von Statisten reduzierten einheimischen Bevölkerung entfaltet, deren Lebensalltag der Film bedenkenlos den Bedürfnissen der sich imperialistisch gebärdenden deutschen Neuankömmlinge unterordnet.

Helle Nächte (R: Thomas Arslan D 2017)

Dennoch bereitet es Hoffnung, dass der jüngste deutsche Kinobeitrag mit skandinavischem Schauplatz – der vielleicht nicht zufällig von einem Regisseur mit Migrationshintergrund gedreht wurde – die nordische Region als unzugängliche Nebellandschaft präsentiert, deren flüchtig und unzuverlässig erscheinende Natur sich der klassischen Instrumentalisierung als Katalysator für die auch hier wieder im Vordergrund stehenden Identitäts- und Beziehungsprobleme klar entzieht. Möglicherweise signalisiert Thomas Arslans Helle Nächte mit seinen hilflos und ziellos durch die norwegische Landschaft stapfenden Figuren, dass jetzt tatsächlich endlich die Zeit gekommen ist, sich von der vorherrschenden Repräsentationstradition zu verabschieden und ein Verhältnis zu den nordischen Ländern zu suchen, das jenseits der alten Aneignungsprozesse und der überhöhten Erlösungsfantasien Raum schafft für eine Neuerkundung dessen, was Skandinavien aus deutscher Perspektive tatsächlich sein kann.

Claudia Gremler

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