* 15. April 1990

Kelly und Ryan sind sicher sehr nette Menschen, sie moderieren seit vielen Jahren die US-Talkshow „Live mit Kelly und Ryan“. Aber man schlackert schon gewaltig mit den Ohren, wie bemüht sie bei einer Sendung im Jahr 2001 sind, mit einem Kind auf kleinkindliche Weise zu sprechen, sodass phasenweise die intellektuelle Augenhöhe nicht mehr gewährleistet scheint – für die Moderatoren. Die 11-jährige Interviewpartnerin lässt nie einen Zweifel daran, dass sie sehr intelligent und auch verbal schlagfertig ist, besonders in einem Moment des Interviews: Ryan möchte wissen, ob andere Kinder in ihrer Schule nicht neidisch auf sie seien, weil sie die Rolle der Hermine Granger in dem Blockbuster-Film Harry Potter und der Stein der Weisen (2001) bekommen hat. Dafür macht er Kinderstimmen nach und fragt: „Warum du? Warum du, Emma?“ Die junge Emma lächelt das weg und sagt ganz schlicht, nett und ehrlich belustigt: „Because I’m worth it!“ Genau dieses freundliche, aber bestimmte Selbstbewusstsein hatte auch die Casting-Agenten beeindruckt, die 1999 in England auf der Suche nach einer Hermine waren – und Emma Watson fanden.

Viele Jahre Harry-Potter-Wahnsinn hatten damit gerade erst begonnen. Am Ende sollten acht Filme stehen, die mit einem Gesamteinspielergebnis von beinahe acht Milliarden Dollar eine der erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten bilden, nur ganz knapp hinter Star Wars. Hinter diesem Erfolg verbarg sich endlos viel Arbeit und aufgegebenes Leben für die jungen Schauspieler, besonders die Hauptdarsteller Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint, die als Kinder begannen, während den Dreharbeiten Teenager wurden und schließlich zu jungen Erwachsenen reiften. Man stelle sich einfach Boyhood (2014) als Mini-Serie im Jahresrhythmus in Fantasy vor.

Statt mit endlosen Dreharbeiten, unzähligen Filmpremieren, unzähligen Interviews und regelmäßigen Modelshootings verbringt der Mensch (hoffentlich) seine Teenagerjahre ja an einer Schule und in der Freizeit mit Freunden, macht Unfug, beginnt mit der Welt zu hadern, oder auch nicht. Wider Erwarten schaffte das auch Emma Watson, wobei natürlich viel Unterrichtszeit am Filmset stattfand. Sie machte ihren College-Abschluss mit Glanznoten und begann 2009 ein Literaturstudium in den USA. Der Traum eines ganz normalen Studentendaseins, das sie zeitweise in ihrer englischen Heimat Oxford weiterführte, blieb ihr selbstverständlich verwehrt. Paparazzi, die nach möglichst freizügigen Schnappschüssen geiferten, gehörten überall zum Alltag. Doch das brachte sie nicht von ihrem Ziel ab. In einem Interview mit Ellen DeGeneres bedauerte Watson lediglich, fünf Jahre statt der Regelstudienzeit von vier Jahren gebraucht zu haben.

Emma Watson in Vielleicht lieber morgen (2012, R: Stephen Chbosky)

Mit ihrer ungebrochenen Popularität setzt sie sich seit 2014 als UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte ein und startete mit UN Women die überaus erfolgreiche Kampagne „HeForShe“, die Männer und Jungen bewegen möchte, sich für Frauenrechte einzusetzen.

So zielstrebig wie sie sich im Studium und ihrer politischen Arbeit zeigte, war ihre Rollenwahl nach Harry Potter leider nicht. Mit Hauptrollen in Sofia Coppolas The Bling Ring (2013), Darren Aronofskys Noah (2014, oh Mann!), Florian Gallenbergers Colonia Dignidad (2015) und der Bestseller-Verfilmung The Circle (2017) festigte sie sich einen Ruf für Filme, die auf dem Papier sicher gut klingen mögen, aber im filmischen Ergebnis allesamt weniger bis wenig gelungen waren. Eine große Ausnahme gab es aber: The Perks of Being a Wallflower (2012) ist – mal ganz schlicht gesagt und ohne weitere Ausführungen – eines der besten Coming-of-Age-Dramen der letzten Jahrzehnte. So wie es auch das Leben von Emma Watson bis hierhin wäre.

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