Hans Weingartner blickt auf seinen Erfolgsfilm DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI (2004) zurück, der im SWR-Format Debüt im Dritten produziert wurde.
Die fetten Jahre sind vorbei hat viel mit den letzten zehn Jahren meines Lebens zu tun, in denen ich mehrfach versucht habe, politisch aktiv zu werden, und mehrfach gescheitert bin. Ich wollte immer Teil einer Jugendbewegung sein, aber ich habe nie wirklich eine gefunden. Ich war Punk, als Punk schon vorbei war, ich war Hausbesetzer, als es damit schon zu Ende ging. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der viele junge Menschen den Wunsch nach politischer Veränderung in sich tragen, aber nicht wissen, wie sie ihm zum Durchbruch verhelfen sollen. Es fehlen die Reibungsflächen und es fehlt die Gruppendynamik.

Dass die Güter dieser Welt ungerecht verteilt sind, ist allen klar; wie das zu ändern ist hingegen nicht so ganz. Die Freunde Jan und Peter haben ihren eigenen Weg gefunden: nachts brechen sie in Villen ein, nicht um zu klauen, sondern um das Mobiliar auf den Kopf zu stellen. Ihre hinterlassenen Botschaften lauten: ‚Die fetten Jahre sind vorbei‘ oder ‚Sie haben zu viel Geld‘ – unterzeichnet mit ‚Die Erziehungsberechtigten‘. Jule, die eigentlich mit Peter liiert ist, und Jan verlieben sich ineinander. Im Überschwang der Gefühle steigen sie zu zweit in eine Villa ein und werden dabei vom Besitzer Hardenberg überrascht. Dafür haben die selbst ernannten Erziehungsberechtigten keinen Plan – und unversehens werden sie zu Entführern. Auf einer einsamen Berghütte tauchen die drei mit ihrem Opfer erst mal unter. Bei den Diskussionen über ihre Motive, ihre Ziele und ihre Lebensentwürfe nimmt die Konfrontation mit Hardenberg eine erstaunliche Wendung.
Zwischen Aufbruch und Ernüchterung: Ein persönlicher Rückblick
Ich war Mitte der Neunziger in Berlin als Hausbesetzer aktiv. Das war eigentlich meine politischste Zeit. Irgendwann kam dann die gewaltsame Räumung mit 500 Polizisten im Rahmen einer militärischen Übung. Meine Sachen wurden aus dem Fenster geschmissen, wir wurden abgeführt wie Schwerverbrecher, und das Haus wurde dann zerstört. Das war eine traumatische Erfahrung für mich. Ich wusste, ich muss irgendwann noch einen – im weitesten Sinne – politisch engagierten Film machen. In Die fetten Jahre sind vorbei geht es für mich um die komplexe Frage: Wie kann ich als junger Mensch, hier und jetzt, am Zustand der Welt etwas ändern? Der Film gibt keine klare Antwort, weil es die nicht gibt, aber er soll Mut machen, überhaupt etwas zu tun.

Jan und Peter als Die Erziehungsberechtigten haben einen Weg gefunden, die Reichen auf kreative und subtile Art und Weise aufzurütteln. Sie brechen in deren Villen ein und bringen die Ordnung ihrer Luxusgüter durcheinander, ohne dabei etwas zu stehlen oder jemanden zu verletzen. Damit legen sie den Finger auf die Wunde, aber mit Sinn für Humor. Auf den ersten Blick erzeugen sie Chaos, aber in dem Chaos liegt eine Bedeutung. So wie bei vielen Gedichten. Deshalb könnte man das, was sie tun, «Poetischen Widerstand» nennen.
Wenn das System Risse zeigt: Kapitalismus und Widerspruch
Neunzig Prozent der Menschen hungern und die übrigen zehn Prozent machen eine Abmagerungskur. Die neunzig Prozent sind unglücklich, weil es ihnen schlecht geht. Aber die zehn Prozent sind auch unglücklich, fressen Antidepressiva und fühlen sich gestresst. Und dann kommen diese Idioten daher und erzählen uns jeden Tag von der Wiege bis zur Bahre: Dies ist das einzige System, das funktioniert. Permanenter Wettbewerb – ständige Konkurrenz. Aber tief drinnen wissen wir alle, dass etwas mit diesem System nicht stimmt.
Telefon, Internet, Flugzeuge – die Welt wächst zusammen. Die Globalisierung ist schwer aufzuhalten. Die wahre Bedrohung für ein humanes Leben sind meiner Ansicht nach die Großkonzerne, die sich über Gesellschaftsregeln hinwegsetzen. Die bilden ein Wirtschaftssystem, in dem nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern das Geld. Ich hoffe, der Film vermag aufzurütteln und ein Bewusstsein zu schaffen. Aber Humor und lustige Elemente im Film zu haben, war mir auch außerordentlich wichtig. Es ist ja schließlich ein Film über junge Menschen. Ich habe gelesen, dass Kinder über 150-mal am Tag lachen, Erwachsene dagegen nur um die zehn Mal. Außerdem sind Anspruch und Humor kein Widerspruch.

Zwischen Idealismus und Anpassung: Hardenbergs Konflikt
Wie verändert sich ein Mensch im Laufe seines Lebens? Wann beginnt er, sich anzupassen? Kann ich mich anpassen und trotzdem ich selbst bleiben oder geht das gar nicht? Hardenbergs Geschichte ist die derjenigen, die in ihrer Jugend gegen das rebelliert haben, was sie heute repräsentieren. Hardenberg ist selbst zu einem jener Menschen geworden, die er früher bekämpft hat. Diesen Konflikt versuchte ich durch das Aufeinanderprallen zweier Generationen zu thematisieren.
Zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte hieß jung sein, rebellisch sein, aufbegehren. Viele Revolutionen wurden von jungen Leuten getragen. Pure Energie. Gesellschaft braucht das, um sich weiterzuentwickeln und zu erneuern. Jemand muss alles infrage stellen, damit das Gute überlebt und alles andere reformiert wird. Manchmal frage ich mich: Wo ist diese Energie heute? Vielleicht machen sich die jungen Leute, die Die fetten Jahre sind vorbei sehen, auf die Suche nach ihrer verschütteten revolutionären Energie.
Das wäre zumindest ein Traum von mir.
Hans Weingartner
Auszug aus dem Buch Debüt im Dritten – Eine Chance für den Nachwuchs.
Der Band versammelt eine Übersicht über die Erfolgsgeschichte dieser seit nun 40 Jahren bestehenden Nachwuchsredaktion, in der unzählige Kurzfilme und mehr als 200 Langfilme und Serien entstanden sind.

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