• 1. 10. 1989

Manchmal gehen Träume eben doch in Erfüllung. Schon im Vorschulalter weiß Brianne Sidonie Desaulniers, dass sie Schauspielerin werden möchte. Auf eine echte Schule geht sie dann gar nicht, sondern wird mit sechs Jahren an einer prestigeträchtigen Schauspielschule aufgenommen – als jüngstes Mitglied aller Zeiten. Obwohl ihre Eltern als Chiropraktiker nicht gerade aus dem Showbiz kommen, ist die kleine Brie eine Art Film-Wunderkind: Mit acht Jahren schaut sie Hollywood-Klassiker aus den 1940ern und Godard-Filme mit Untertiteln. Sie spielt erste Rollen in Late-Night-Sketchen und Familien-Sitcoms und nimmt dafür den einfacheren Nachnamen Larson ihrer Großmutter an.

Aber so geradlinig kann es natürlich nicht immer weiter laufen. Die Scheidung ihrer Eltern sorgt für eine Jugend am Rande der Armut, und als ihre Freundinnen gerade Schulabschluss machen, muss Larson sich mit Minirollen durchschlagen und wird für preisverdächtige Hauptrollen in Juno und Thirteen abgelehnt. Auch eine hastig angestoßene Musikkarriere verläuft im Sand: Als 15-jährige Schauspieler-Hoffnung mit durchaus beeindruckender Stimme bekommt sie tatsächlich einen Plattenvertrag, aber ihr Debütalbum „Finally out of P.E.“ entfacht weder bei ihr noch beim Publikum echte Leidenschaft. Aber dieses Lehrgeld hat auch sein Gutes: Als sie schließlich ihre erste Hauptrolle als rebellische Teenagerin in der Serie United States of Tara kriegt und mit Steven Spielberg als Produzent arbeiten kann, bleibt sie bodenständig und bescheiden – auch dank ihrer Freundschaft mit ähnlich erfolgreichen Kolleginnen wie Jennifer Lawrence und Emma Stone.

Es ist bezeichnend, dass ihr Durchbruch in den kleinen Indie-Dramen Short Term 12 und Room keine großen theatralischen Show-Rollen sind. Für ihre Tour de Force in Room, der Geschichte einer Mutter, die mit ihrem Kind sieben Jahre lang in einem Schuppen gefangen gehalten wird, erhält sie den Oscar – aber es ist nicht die übliche Sensationsrolle mit Behinderung oder Make-up, sondern eine kleine, leise Figur ohne theatralische Gefühlsausbrüche, dafür mit umso mehr Einfühlsamkeit.

Brie Larson in Kong: Skull Island

Sicher, in der Folge darf sie auch ein paar lautere Rollen übernehmen: Für ihren Auftritt als Envy Adams im Kultfilm Scott Pilgrim vs. The World zum Beispiel kann sie nochmal die Rock-Göttin raushängen lassen. In Kong: Skull Island spielt sie eine idealistische Kriegsberichterstatterin. Und in United States of Tara darf sie mit ihrer Fantasiefigur Prinzessin Valhalla Hawkwind sogar schon mal am Fantasy-Kitsch schnüffeln. Aber trotzdem war es wohl eher ihre stille Ernsthaftigkeit, die ihr die Rolle einbrachte, die ihr Jahr 2019 prägen wird: Die Pilotin und Superheldin Carol Danvers alias Captain Marvel ist keine Kampfmaschine und auch keine Drama-Queen, sondern eine kluge, entschlossene Frau, die nicht viel Aufregung braucht. Und da scheint Brie Larson, die mit ihrem Rockmusiker-Verlobten lieber Pilze suchen geht als in den Boulevardblättern aufzutauchen, eine Idealbesetzung zu sein.´

Aber wenn man seit kleinstem Kindesalter Filmfan ist, dann sind selbst ein Oscar und eine Superheldenkarriere nicht genug. Im Fahrwasser anderer kluger Indie-Schauspielerinnen ihrer Generation wie Sarah Polley oder Greta Gerwig hat auch Brie Larson inzwischen ihr Regiedebut abgedreht: Unicorn Shop ist eine verspielte Coming-of-Age-Komödie um eine junge Frau, die sich ihren Kindheitstraum von einem Einhorn erfüllen möchte. Und genau wie für Brie Larson selbst gehen Träume manchmal eben doch in Erfüllung.

Daniel Bickermann (aus dem Filmkalender 2019)