Milena Aboyan im Gespräch über ihren Debütfilm ELAHA (2023).
Mit Elaha wollten wir die Geschichte einer Frau erzählen, die sich verpflichtet hat, niemals leise zu sein, eine Frau, die Schwäche zulässt, ohne dabei schwach zu sein. Sie liebt ihre Familie, ihre Traditionen und ihre Kultur, aber sie ist mit einer Regel nicht einverstanden. Sie stellt sich gegen ein universelles Herrschaftssystem, das keine Rücksicht auf Herkunft nimmt.

freieres Leben wird führen können. © SWR/Kinescope Film
Die 22-jährige Elaha versucht zwanghaft, eine vermeintliche Unschuld zurückzugewinnen, die sie durch Sex verloren hat. Ein plastischer Chirurg soll ihre sogenannte Jungfräulichkeit wiederherstellen. Doch sie kann das Geld für den kostspieligen Eingriff nicht aufbringen. Auf der Suche nach einer Alternative stößt sie auf ein besonderes Produkt – eine Kapsel mit künstlichem Blut. Doch diese vermeintliche Lösung zwingt sie in die Selbstausbeutung. Nach einigen Rückschlägen entscheidet sich Elaha für ihre selbstbestimmte Sexualität als Frau.
Das Patriarchat zu thematisieren, gar zu durchbrechen – wie ist das möglich?
In erster Linie müssen wir uns der Intersektionalität bewusst werden und die Vielfalt der Unterdrückungsformen anerkennen. Der Film Elaha fordert dazu auf, das Patriarchat als ein gemeinsames gesellschaftliches Problem zu erkennen. Wir thematisieren in dem Film ein spezifisches Problem, welches in einigen Communitys gegenwärtig ist. Aber der Ursprung ist universell. In Elaha wird der «Madonna-und-Hure»-Komplex durchbrochen.
Können Sie dies näher erläutern?
Der «Madonna-und-Hure»-Komplex ist eine stereotype Sichtweise von Frauen, bei der sie in zwei Extreme unterteilt werden: die «Madonna», die als rein und tugendhaft idealisiert wird, und die «Hure», die als sexuell freizügig oder unmoralisch abgewertet wird. Es ist eine dualistische Sichtweise, die die Vielfalt von Frauen ignoriert. Grundsätzlich kann eine Frau oder Mensch niemals «unrein» werden, und Elaha betont diesen Fakt.

Können Sie näher auf die Kritik im Film an der Kontrolle weiblicher Sexualität
und den Auswirkungen auf Frauen eingehen?
Die Kontrolle über die Sexualität einer Frau ist eine extrem gewalttätige Form der
Unterdrückung von Frauen. Auch Mütter werden gezwungen, die Sexualität ihrer Töchter zu kontrollieren, da sie andernfalls für den Ungehorsam ihrer Töchter verantwortlich gemacht werden. Die brutalen Strukturen des Patriarchats sind äußerst komplex. Mit der Geschichte von Elaha wollten wir zeigen, dass alle Beteiligten unter diesem System leiden, ohne von Opfern und Tätern zu sprechen.
Sie zeigen Elahas Klaustrophobie und den Mangel an Privatsphäre mit einem 4:3-Bildseitenverhältnis. Können Sie zu dieser Wahl Stellung nehmen?
Vorrangig wollten wir keine soziale Studie über ein Milieu erstellen. Es sollte ein Porträt über eine Frau sein. Deshalb passte das Bildseitenverhältnis sehr gut. Gleichzeitig spiegelt es auch die äußerst engen Strukturen wider, in denen unsere Protagonistin lebt.

vorschlagen zu lassen … © SWR/Kinescope Film
Welche Herausforderungen gab es bei der Realisierung dieses Films? Und welche Erfolge konnten verbucht werden?
Die größte Herausforderung bestand in der Besetzung. Fast zwei Jahre lang arbeiteten Constantin Hatz, mein Co-Drehbuchautor, und ich intensiv daran. Wir
durchforsteten Schauspielschulen, sowohl national als auch europaweit. Gleichzeitig war es uns ein wichtiges Anliegen, einen Jungen für die Rolle von Elahas Bruder zu finden, der eine Gehbehinderung hat. So wollten wir auch Menschen mit Behinderungen repräsentieren. Die Suche gestaltete sich äußerst fordernd. Der größte und schönste Moment war, als wir trotz zahlreicher Hindernisse den talentierten Réber Ibrahim für die Rolle des Sami gewinnen
konnten.
Sind Sie Feministin? Wenn ja, wie beeinflusst dies Ihre Arbeit im Bereich Filmproduktion?
Es ist mir wichtig, Geschichten zu erzählen, in denen Frauen nicht sexualisiert
werden. Wir können Gewalt gegen Frauen erzählen, ohne diese brutale Gewalt gegen Frauen zu zeigen. Frauen über vierzig sollten in der Lage sein, mehr Hauptrollen zu spielen, ohne auf ihr Alter oder ihren Körper reduziert zu werden. Ich versuche immer sicherzustellen, dass es eine starke Präsenz von Frauen vor der Kamera gibt, aber auch hinter der Kamera.
Auszug aus dem Buch Debüt im Dritten – Eine Chance für den Nachwuchs.
Der Band versammelt eine Übersicht über die Erfolgsgeschichte dieser seit nun 40 Jahren bestehenden Nachwuchsredaktion, in der unzählige Kurzfilme und mehr als 200 Langfilme und Serien entstanden sind.

Haha, der „Madonna-und-Hure-Komplex, da wird man ja mal wach – oder wachsam. Gut, dass Elaha diesen durchbrochen hat, sonst wäre sie ja entweder eine fromme Stille oder eine laue Praline. Und die 4:3-Formate, klar, das spiegelt die Enge wider, in der sie steckt – vielleicht auch die Enge, in der sich manche Diskussionen über Film halten. Aber die größte Herausforderung war die Besetzung? Sehr ehrlich, die größte Herausforderung bei so einem Interview ist meistens, den roten Faden zu finden. Keep it flicking!