Suzanne Pathé beschreibt in ihren Jugenderinnerungen die ersten Jahrmarktgeschäfte ihres Onkels Charles Pathé, die den Grundstein für die Filmfirma Pathé Frères legten.
Es geschag im August 1894. Einer seiner Freunde lud Onkel Charles Pathé ein, ihn auf die Foire du Trône – so nannte man zu dieser Zeit den Jahrmarkt von Vincennes – zu begleiten, um dort einen Apparat zu betrachten, der ihn neugierig gemacht hatte. Der Apparat, so erzählte ihm sein Freund, sei unscheinbar, doch könne er die menschliche Stimme exakt wiedergeben. Sollte es sich hier um eine Bauernfängerei handeln?
Mein Onkel folgte der Einladung und entdeckte dabei ein kleines, mechanisches Gerät, das sehr einfach aussah. Bemerkenswert war ein beweglicher, recht dicker, aber zerbrechlicher Wachszylinder, auf dessen Oberfläche rätselhafte Zeichen eingeritzt waren. Dieser musste vorsichtig über einen weiteren Zylinder aus Metall, der auf dem Gehäuse befestigt war, gezogen werden. Anschließend wurde eine leichte, flache und runde Dose mit einer Membrane, in deren Mitte sich ein kleiner Rubin befand, vorsichtig auf den Rand des Wachszylinders gelegt. Dann zog man eine Feder im Inneren des Apparats auf und erzeugte so die nötige Zugkraft, um die Walze in Rotation zu versetzen, während die leichte Dose von links nach rechts über die Oberfläche glitt.
Doch kein Laut kam aus dem magischen Gerät. Um die menschliche Stimme zu hören, musste man einen der zwanzig Kopfhörer aufsetzen, die so angebracht waren, dass mehrere Personen gleichzeitig lauschen konnten. Und was hörte man? Tatsächlich, eine menschliche Stimme, die sang oder sprach. Jedes Mal bezahlte man zwei Sous, also zehn Centimes, um drei Minuten und keine Sekunde länger zuhören zu dürfen.
Die meisten Anwesenden, die der Darbietung mit offenem Mund gefolgt waren, erklärten nach Ende des Abspiels, dass sie nicht auf den Trick hereinfallen würden. Sie hielten den Besitzer des Apparats für einen Bauchredner oder einen Magier, der seine Stimme erklingen ließ und dabei behauptete, sie käme von dem rotierenden Zylinder.
Nach mehreren Besuchen auf dem Jahrmarkt gehörte Charles Pathé nicht mehr zu denjenigen, die dachten, dies sei ein Trick! Ganz im Gegenteil. Er unterschied sich von den anderen Zuhörern, die ebenso entzückt waren wie er und obwohl sie der Sache nicht vertrauten ihre zwei Sous bezahlten, um sich an dem Apparat zu erfreuen. Als echter Visionär sah er das kommerzielle Potential, welches diese wundersame Erfindung bot. Sofort beschloss er, sich nach der Möglichkeit, ein solches Gerät zu erwerben, zu erkundigen.
Nur acht Tage nach seinem ersten Besuch auf der Foire du Trône gelang es meinem Onkel herauszufinden, wie er sich einen solchen Phonographen beschaffen konnte, wobei ihn seine zweifellos angeborene und durch die geschäftlichen Abenteuer in Südamerika weiter entwickelte Gabe, sich selbst zu helfen, sicherlich zugute kam. Die Firma, die diese Geräte verkaufte, befand sich in London. Sie kosteten tausend Francs, das Zubehör noch einmal 800 Francs. Leider besaß er nur 1.100 Francs. Es war nicht leicht, einen Geldgeber zu finden und zu bewegen, für eine Jahrmarktsattraktion die Summe von 700 Francs zu riskieren.
Zu seiner Überraschung erklärte sich meine Großmutter väterlicherseits bereit, entsprechende Garantien zu geben, um das Unternehmen finanziell auszustatten. Charles’ Überredungskunst sowie ihre Vorliebe für diesen Sohn brachten sie dazu, ihre Vorbehalte aufzugeben. Am 9.9.1894, also schon vierzehn Tage nach seinem ersten Jahrmarktsbesuch, standen Charles Pathé und seine Frau auf der Kirmes von Monthéty. Zu Beginn seiner Schaustellerkarriere trug er nicht mehr in der Tasche als das Geld für eine Eisenbahnfahrtkarte zurück nach Vincennes für sich und seine Frau. Diese Vorsorge erwies sich als unbegründet. Schon am ersten Tag machte das junge Paar einen Umsatz von 200 Francs.
Suzanne Pathé
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