Friederike Grimm über die Unterhaltsamkeit von Vergnügungsanzeigern in den Anfängen des Starsystems mit Asta Nielsen

Als ich 2011 ein Seminar in der Mediengeschichte zum Frühen Kino besuchte, stellte ich fest, dass es ‚die eine‘ Geschichte nicht gibt: Jede noch so kleine Stadt hat ihre eigene Geschichte der ersten Filmvorführungen im Ort. Die Kinogeschichte existiert für einige Orte noch gar nicht – niemand hat sie bislang erforscht und aufgeschrieben. Alles, was ich vorfinde, ist eine Neuentdeckung. Das hat mich elektrisiert und so tauchte ich ein in die bunte Welt der Kinoanzeigen.

Erste Voranzeige des Residenz-Theaters für „Der schwarze Traum“.
Darmstädter Tagblatt, 12.10.1911, S. 13.

Die mikroverfilmten oder digitalisierten Lokalzeitungen sehen nämlich nur Schwarz-Weiß aus: In Wahrheit beherbergen sie das bunte quirlige Treiben eines Jahrmarkts: Im Anzeigenteil von Lokalzeitungen informierten Vergnügungsetablissements und Veranstalter von Abendunterhaltungen über ihr Angebot.

Ich konzentrierte mich auf die Anzeigen von Kinos, um die Laufzeiten von Asta-Nielsen-Filmen in einer Stadt zu rekonstruieren. Dabei faszinierten mich die Werbeargumente, mit denen Kinos die Zeitungsleserschaft von ihrem Programm zu überzeugen suchten. „Kein Bieraufschlag“ (was auch immer das bedeutet), warb der Saarbrücker Zentral-Kinematograph in seiner Anzeige. Eine Zeitungsnotiz zum Filmprogramm im Bioskop-Theater in Maribor wies darauf hin, dass das Kino mit Perolin desinfiziert werde. „Bemerkt sei auch“, hieß es zum Kinoprogramm in der Linzer Tages-Post, „daß das elektrische Violinen-Piano jetzt von einer neuen Kraft bedient wird und daß die Musikbegleitung während der Vorführung selbst nichts zu wünschen übrig läßt.“ Offenbar hatte es vorher Beschwerden über die dilettantische Bedienung des elektrischen Violinen-Pianos gegeben.

Dagegen spielte der findige Trierer Kinobetreiber Peter Marzen zu Asta-Nielsen-Filmen Musik vom Grammophon, was eigentlich ein Manko gegenüber Live-Musik sein könnte. Er wies dies aber als Besonderheit aus, denn alle Musik, die zu hören war, konnte bei ihm gekauft und mit nach Hause genommen werden. Er vertrieb nämlich nebenbei Künstler-Schallplatten. In Esseg (Osijek) wurde Asta Nielsens Anwesenheit im Film der persönlichen Präsenz fast gleichgesetzt: „Persönlich gastiert sie jetzt in Wien und im Film im Urania-Kino in Essek“, bemerkte die Zeitungsnotiz. Diese Gleichsetzung von filmischer Präsenz mit persönlicher Anwesenheit geschah leicht augenzwinkernd: „(Asta Nielsen) gastiert seit vorgestern abends im Oberstädter Urania-Kino […] Zu Neujahr reist Asta Nielsen per Post wieder nach allen Windrichtungen.“ Die Filmrollen wurden per Eisenbahn von Stadt zu Stadt transportiert.

Scan einer alten Zeitungsannonce mit dem Text: Wissen Sie schon? Die weltberühmte Kino-Diva Asta Nielsen kommt! vom 19. bis 25. Oktober. Nur im Union-Theater.

Kinoanzeigen kündigten Filme mit Asta Nielsen in der Hauptrolle oft wie einen persönlichen Gastspielauftritt an. [Barmer Zeitung, 16.10.1912. https://importing-asta-nielsen.online.uni-marburg.de/database (#9187).]

In Brünn (Brno) übergab die Bahnverwaltung einen Asta-Nielsen-Film irrtümlich an das falsche Kino, das den Starfilm prompt spontan zwei Tage (Samstag und Sonntag) ins Programm nahm anstatt den Irrtum aufzuklären. Persönlich nicht ganz überzeugt vom Filmstar Asta Nielsen schien der Betreiber des Photophon-Theaters in Neunkirchen, der in seiner Anzeige zu einem Asta-Nielsen-Film schrieb: „Asta Nielsen – nicht die schönste, aber entschieden die beste und bedeutendste Tragödin der Lichtspielkunst.“

Wie Lokalzeitungen Kinogeschichte erzählen: Kuriositäten aus dem Kinoalltag von 1911-1914

Ein Kino und einen Filmverleih zu betreiben, schien 1912 lukrativ: Ein Inserat im Teplitz-Schönauer Anzeiger bot neben einer Kino-Lizenz für eine Stadt mit 10.000 Einw. die Beteiligung an der Gründung eines Filmverleih-Unternehmens an und nahm Anträge unter dem Stichwort „Goldgrube“ entgegen. Ein Kino in Darmstadt verkaufte „einige tausend Meter wenig gebrauchte Films einzeln an der Kasse nachmittags von 15:30 bis 18 Uhr“, wie es in seiner Anzeige in der Zeitung unter seinem Filmprogramm verkündete. Wer mag vor oder nach einem Kinobesuch Filmrollen gekauft haben? Es ist schließlich nicht so gewesen, dass Projektoren so weit verbreitet waren wie seinerzeit DVD-Player. Dieses Angebot kann sich nur an Betreiber anderer Kinos gerichtet haben.

Kinos kauften oder liehen ihre Filme und Filmfabriken oder Verleihfirmen berechneten ihre Preise anhand der Länge des Filmstreifens in Metern. Während branchenintern Filme also mit dem Metermaß gemessen wurden, war für das Publikum die Länge in Metern eines Films nicht relevant. Die Abspielgeschwindigkeit, üblicherweise 16 Bilder pro Sekunde, bestimmte schließlich die Dauer eines Films. Und diese wird mit der Uhr gemessen. Für das Publikum ‚übersetzten‘ Kinobetriebe die Länge eines Films folgerichtig in eine Angabe der Abspieldauer in Minuten.

Johann Steiner in Baden bei Wien versuchte trotzdem, seinem Publikum die Länge eines Asta-Nielsen-Films von 1.100 Metern zu veranschaulichen durch einen Vergleich mit einer örtlich bekannten Strecke: „100 Meter länger als die Badener Rennbahn“ sei der Film. Das ist ein interessantes Bild und ich frage mich, ob das damalige Publikum mit dieser Angabe etwas anfangen konnte.

Interessant ist auch, wie stark das Kino vor dem Ersten Weltkrieg noch in seiner Tradition des abwechslungsreichen Nummernprogramms des Varieté-Theaters stand. Der sechzig- bis neunzig-minütige Spielfilm füllte den Kinoabend nicht aus, obligatorisch war ein Beiprogramm aus verschiedenen Kurzfilmen, um für einen abwechslungsreichen Kinobesuch zu sorgen. So bemerkte die Zeitungsnotiz im Prager Tagblatt zu einem Kinoprogramm mit einem Asta-Nielsen-Drama: „Zur Lösung der schweren Spannung dient noch ein Lustspiel voll des behaglichen Humors.“

Revierkämpfe im Anzeigenteil: Asta Nielsen als Streitobjekt

Amüsiert haben mich vor allem die über Anzeigen ausgetragenen Konkurrenzstreitigkeiten zwischen verschiedenen Kinos, die sich oft darum drehten, wer die exklusiven Aufführungsrechte an Asta-Nielsen-Filme hatte. Manchmal kündigten Kinoanzeigen fälschlich eine Mitwirkung Asta Nielsens in einem der beworbenen Filme an. Kinos, die die exklusiven Aufführungsrechte für eine Asta Nielsen-Serie gebucht hatten, war es wichtig, solche unwahren Behauptungen in Gegenanzeigen klarzustellen.

Scan einer Zeitungsannonce mit dem Text: Zur Aufklärung! Der neueste Asta Nielsen-Film "Die Suffragette", wird bis inkl. Freitag, den 19. September a. c. nur in dem Tauentzien-Theater neben dem Residenz-Hotel gezeigt. In allen anderen hiesigen Unternehmen kann dieser Film, sowie die nun folgende neue Serie der Asta Nielsen erst dann gezeigt werden, wenn das Tauentzien-Theater solche eine Woche zur Vorführung gebracht hat.

Der Hinweis auf das exklusive Alleinaufführungsrecht für Asta-Nielsen-Filme war oft Gegenstand von Konkurrenzstreitigkeiten, die über Inserate öffentlich
in der Presse ausgetragen wurden.
[Breslauer General-Anzeiger, 16.09.1913. https://importing-asta-nielsen.online.uni-marburg.de/database (#10267).]

In München zum Beispiel wurde Ida Nielsen so stark beworben, dass bei Asta-Nielsen-Filmen ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass es sich jetzt um ‚die echte‘ Nielsen handelte. In Völklingen lieferten sich das Zentral-Kino Theis und das Union-Theater einen öffentlichen Streit über die Aufführungsrechte an den Asta-Nielsen-Filmen: Das Union-Theater kündigte am 14. Januar 1913 in der Völklinger Zeitung in einem viertelseitigen Inserat an, ab dem 18. Januar abwechselnd Asta Nielsen und Lissi Nebuschka im Programm zu haben. Daraufhin wies das Zentral-Kino Theis am 23. Januar in derselben Zeitung darauf hin, als einziges Kino das Erstaufführungsrecht für Völklingen und Umgebung zu besitzen. Das Union-Theater antwortete am 25. Januar unter der Überschrift „Unwahr!“, dass die Behauptung, dass nur das Zentral-Kino die Asta-Nielsen-Filme vorführen dürfe, falsch sei: „Den Beweis erbringe ich schon heute, indem ich mit einem neuen Schlager beginne – Der Todestanz [eigentlich Der Totentanz] in der Hauptrolle Asta Nielsen. Meine Gastspiele von Nebuschka und Asta Nielsen wechseln 14tägig ab und bieten durch die gute Auswahl und Neuheit der Stücke der Konkurrenz die Spitze.“

In Trier nahm der Kinobetreiber Peter Marzen Freikarten der Konkurrenz auch in seinem Kino an. Diese erwirkte daraufhin eine einstweilige Verfügung, die mit einer Strafe von 100 Mark pro Vorfall geahndet wurde. Marzen blieb nichts Anderes übrig, als selbst Freikarten herauszugeben und auf seinen Nebenerwerb mit dem Schallplatten-Vertrieb zu setzen.

Welche Strategie? Kinoanzeigen als Marketingstrategie begreifen

Als ich die Kinoanzeigen untersuchte, um die verschiedenen Werbestrategien zu analysieren, brachte mich die geschäftige Vielfalt manchmal fast zur Verzweiflung. Es schien mir einfacher, einen Sack Flöhe zu dressieren. Es war unmöglich, sie inhaltsanalytisch zu codieren ohne die Varianz zu unterschlagen.

Ich habe mich schließlich auf die basalen Gemeinsamkeiten konzentriert und zunächst eine Kinoanzeigen-Typologie entwickelt: Je nachdem, wann die Kinoanzeige erschien – vor, nach oder zum Start einer Filmlaufzeit – habe ich sie als Voranzeige, Startanzeige oder Erinnerungsanzeige (und weitere Unterkategorien) definiert. Bei den Werbestrategien konnte ich verschiedene individuelle Ausprägungen in der Tonalität identifizieren: Manche bevorzugten eine sachliche und nüchterne Auflistung des Filmprogramms, andere schmückten ihr inseriertes Kinoprogramm mit vielen Attributen und Ausrufezeichen aus, wieder andere setzten auf grafische Hervorhebungen.

Scan einer Zeitungsannonce. Oben ein kleines Dreieck mit der Beschriftung "Künstlerischer Wert der landläufigen Dreiakter-Schauspiele", danaben ein großes Dreieck mit der Beschriftung "Künstlerischer Wert der Asta-Nielsen-Urban-Gad-Schauspiele." Darunter der Text: Sonnabend, den 12. Oktober nachmittags 4 Uhr wird der Reigen des Asta Nielsen-Films im Union-Theater fortgesetzt. "Die Kinder des Generals" so betitelt sich die neueste Schöpfung Urban gads - Der Hauptrolle wird Asta Nielsen unsere unvergleichliche Diva, ihre geniale Gestaltungskraft verleihen. Als szenischer Hintergrund dieses Schauspiels haben wir die schönsten Punkte des Wannsee bei Berlin gewählt. Asta Nielsen spielt diesmal einen niedlichen Backfisch. Eine Auswahl der neuesten Aufnahmen, verschiedenen Genres, vervollständigen den Spielplan.

Abbildung 3: Ein sehr frühes Beispiel einer Infografik – hier zur Visualisierung des künstlerischen Werts von Asta-Nielsen-Filmen gegenüber „landläufigen“ Dreiaktern.
[Görlitzer Anzeiger, 12.10.1912. https://importing-asta-nielsen.online.uni-marburg.de/database]

Fünf Werbestrategien konnte ich unterscheiden: Entweder Kinobetreiber behandelten die angekündigte Filmlaufzeit als lokales alleinstehendes Ereignis oder sie betonten die Konstanz ihres Spielbetriebs, weil sie regelmäßig qualitativ hochwertige Filme aus der gebuchten Asta Nielsen-Serie zeigen würden; oder Kinobetreiber versuchten ihr Publikum von ihrem Programm mit einem Asta-Nielsen-Film zu überzeugen, indem sie auf die dadurch gebotene Teilhabe an einem überregionalen Kunstdiskurs hinwiesen: Wo gab es in kleinen Städten sonst die Möglichkeit, eine berühmte Diva zu sehen – wenn nicht im Kino?

Eine weitere Werbestrategie war, sich auf einzelne Zielgruppen zu spezialisieren: Manche Kinobetreiber machten auf die Volkstümlichkeit ihres Kinos aufmerksam, viele boten sonntagvormittags eine Matinee zu ermäßigten Preisen an. Andere versuchten, das Theaterpublikum und gehobene Bevölkerungsschichten zu erreichen, indem sie der Zielgruppe bekannte Zeichensysteme adaptierten und ihre Kinoanzeigen wie Theaterzettel gestalteten, d. h. exakte Anfangszeiten mitteilten, Szenenfolgen oder Darstellerlisten abdruckten und dazu manchmal das Theater vermerkten, an dem die Mitwirkenden engagiert waren.

Eine weitere Werbestrategie in den Kinoanzeigen bestand in ihrem Bezug auf Realität und Aktualität: Sie wiesen auf die Aktualität des Stoffs hin, auf das Erscheinen des Filmstars Asta Nielsen in einer neuen, unbekannten Rolle oder auf die realitätsgetreue Inszenierung und fotografische Wiedergabe der realen Welt (was ein Vorzug gegenüber den Kulissen einer Theaterbühne war).

Überraschender Beifang: Parodien auf den Filmstar Asta Nielsen

Die Zeitungen in meinem Untersuchungszeitraum 1911 bis 1914 enthielten aber nicht nur Kinoanzeigen. Mich verblüffte, als mir die Filmschauspielerin Asta Nielsen plötzlich nicht nur in Kinoanzeigen, sondern auch in den Anzeigen anderer Vergnügungseinrichtungen begegnete. Ich fand Hinweise auf Kleinkünstlerinnen und Damenimitatoren, die als Asta-Nielsen-Parodie auf Varieté- und Kabarettbühnen auftraten.

In Frankfurt am Main gab Asta Nielsen im September und Oktober 1913 ein Gastspiel im Albert-Schumann-Theater. Ab dem Folgetag ihrer Frankfurter Abschiedsvorstellung gab der Kabarettist und Damenimitator Rudolf Mälzer auf derselben Bühne eine Asta-Nielsen-Parodie: einen „riesigen Lacherfolg“, den er sogar auf Schallplatte aufnahm. Auch in Magdeburg gab es eine Parodie auf Asta Nielsen. Hier war „Asta Nülsen Totentanz“ auf dem Programm des Fürstenhof-Theaters als „Parodie-Gastspiel“. Asta Nielsen war eine Woche vorher auf der Kinoleinwand im Film Der Totentanz aufgetreten. Wer hinter der Parodie „Asta Nülsen“ im Varieté-Theater Fürstenhof steckte, geben die Anzeigen nicht preis.


Anzeige des Albert-Schumann-Theaters für Rudolf Mälzers Asta-Nielsen-Parodie im Anschluss an
Asta Nielsens Gastspiel vor Ort.
[Kleine Presse (Frankfurt a. M.), 15.10.1913, S. 8.
https://importing-asta-nielsen.online.uni-marburg.de/database]

Parodien auf Asta Nielsen gab es sowohl in Deutschland als auch in Österreich-Ungarn. Sie beschränkten sich nicht nur auf Kabarettnummern – Anspielungen auf Asta Nielsen sind auch in Operetten und Filmen zu finden sowie in unzähligen Karikaturen und humoristischen Texten.

Die Lektüre der Vergnügungsanzeiger-Seiten in historischen Zeitungen war äußerst unterhaltsam und ließ mich oft schmunzeln. Es war mir eine Freude, solch ein amüsantes Stück Geschichte zu erkunden und darüber zu promovieren. Meine hier beschriebenen Funde flossen in mein Buch über die Anfänge des Starsystems ein – den Werbestrategien der Kinobetreiber und den Starparodien habe ich eigene Kapitel gewidmet. Sie sind mitunter Ausdruck und Resultat eines systematischen Marketings für den ersten internationalen Star des Langspielfilms: Asta Nielsen. Ich hoffe, dass das Lesen mindestens ebenso viel Vergnügen bereitet, wie ich bei der Erforschung hatte.

Friederike Grimm

Tauchen Sie weiter ein in die Anfänge des Starsystems und die Bewerbung der Asta-Nielsen-Filme im Buch Die Anfänge des Starsystems. Asta Nielsen in Deutschland und Österreich-Ungarn 1911-1914.