Die Reise der Pinguine wird 2005 zu einer der erfolgreichsten Tierdokumentationen aller Zeiten. Ein Rückblick auf die Entstehung des Genres Tierfilm und Naturdoku.

Der Biologe Luc Jacquet hat zum Zeitpunkt, als er Die Reise der Pinguine dreht, gerade einmal für zwei mittellange Fernsehdokumentation verantwortlich gezeichnet. Das Handwerk filmischer Inszenierung beherrscht er allerdings. Seine erste Kinoarbeit wird bei einem Budget von 2,8 Millionen Euro und einem weltweiten Einspielergebnis von über 127 Millionen US-Dollar einer der erfolgreichsten Naturfilme und gewinnt einen Oscar und einen César.

DIE REISE DER PINGUINE (2005) © Arthaus / Kinowelt
Die Ursprünge des Tierfilms

Der Tierfilm, wenn zunächst auch noch in völlig anderer Ausführung als bei Jacquet, gehört zu jenen Genres, deren Existenz bereits zu Beginn der Erfindung des Kinos angelegt ist, bzw. dessen Entwicklung er mitgestaltet und beeinflusst. Das bekannteste Beispiel ist hierbei Eadweard Muybridges The Horse in Motion (Sallie Garner) (1878), einer Serienfotografie, bestehend aus Aufnahmen des Pferdes im Galopp, erzeugt durch zwölf kurz nacheinander ausgelöste nebeneinanderstehende Kameras gleicher Brennweite.

THE HORSE IN MOTION (SALLIE GARDNER) (1878) © owned by Leland Stanford

Zweck dieser Versuchsanordnung war, erstmals zu beweisen, dass während des Galopps tatsächlich kurzzeitig alle vier Hufe gleichzeitig den Boden verlassen. Die Sensation der gespeicherten Bewegung erwies sich als überragend, so dass Muybridge im Folgejahr die auf eine rotierende Glasscheibe kopierten Einzelfotos per Zoopraxiskop, einem Vorgänger des seinerzeit noch nicht erfundenen Kinoprojektors, als Endlosschleife flüssiger Bewegtbilder auf eine Leinwand projizieren ließ.

Eine weitere bedeutsame Quelle, das Verlangen des Publikums nach Bildern zu befrieden, wurde der Expeditionsfilm. Dem zur Abenteurerbewegung der amerikanischen Oberschicht gehörenden Ehepaar Martin und Osa Johnson reichten für seine Filmaufnahmen (Jungle Adventure, 1921; Simba, 1928) noch Reisen in unzugängliche Gebiete von Südostasien oder Kenia.

Produktionsschwierigkeiten und erzählerische Kniffe

Für die Hollywood-Studios barg der Tierfilm hingegen Schwierigkeiten, denn das dokumentarische Abfilmen unkontrollierbarer Natur garantiert selbst bei hohem Aufwand nicht unbedingt eine kommerziell verwertbare Geschichte.

Andererseits waren die großartigen Bilderwelten natürlich willkommen, weswegen die Wildnis sodann im Filmatelier rekonstruiert wurde (z. B. für die Tarzan-Filmreihe, 1932-1968), um die dokumentarischen Abenteurer mit industriellen Kräften zu übertreffen. Unter den zahlreichen Filmemachern, die den Dschungel dann einfach nachbauten, waren zum Beispiel Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack (King Kong, 1933), die zuvor für Chang (1927) noch selbst im Urwald von Thailand unterwegs waren.

DIE WÜSTE LEBT (1953) © Walt Disney

Als Disney Ende der 1940er den Naturfilm als Geschäftsfeld entdeckte, war es somit naheliegend, dem vermeintlich Dokumentarischen weitestmöglich nachzuhelfen. Beispielsweise wurde für Die Wüste lebt (1953) ein Stück Steppe im Studio nachgebaut, um dort die spektakulären Kämpfe auf Leben und Tod zwischen Tarantel und Wespe oder Bussard und Klapperschlange als filmische Höhepunkte inszenieren zu können.

Auch arbeitete Disneys Regisseur James Algar an einem zweiten Problem des Genres, Tiere als Protagonisten zu vermitteln. In den damaligen Expeditionsfilmen diente in der Regel der ins Unbekannte vorstoßende Mensch als Identifikationsfigur, während das Tier wissenschaftliches Objekt blieb, das bei filmenden Forschern wie Hans Hass oder Jacques Cousteau gelegentlich auch in der Bratpfanne endete. Algar hingegen legte Wert darauf, den Tieren menschliche Eigenschaften, sogar Humor zuzuordnen und den emotionalen Zugang des Publikums auf das gezeigte Tier zu fokussieren. Perfektioniert findet sich diese Herangehensweise später beim vom Spielfilm kommenden Südafrikaner Jamie Uys (Die lustige Welt der Tiere, 1974).

KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE (1956) © Karussell

Ein deutliches Alternativkonzept hierzu verfolgen die Filme von Michael und Bernhard Grzimek. Kein Platz für wilde Tiere (1956) und Serengeti darf nicht sterben (1959) sind noch typische Expeditionsfilme, vermitteln aber in ihrer Verbindung von wissenschaftlich klarem Off-Kommentar mit erstaunlichen, perfekt erzählenden Bildern einen tiefen Einblick in das Sozialverhalten ihrer Löwen oder Elefanten. Sie erzeugen also die Empathie vor allem dadurch, dass das Tier in seinem eigenen Wesen und Verhalten stets ernstgenommen wird.

Vorstoß in unbekannte Bildwelten

Andere innovative Möglichkeiten bot die Unterwasserfotografie. Der bereits kurz erwähnte Hans Hass schuf mit selbstentwickelten wasserdichten Kameras zukunftsweisende Zugänge zu submarinen Welten, erst in schwarz-weiß (Menschen unter Haien, 1947), dann in voller Farbenpracht der Korallen und exotischen Fische (Abenteuer im Roten Meer, 1951), bevor ihm letztlich Jacques-Yves Cousteau mit eigenem Forschungsschiff und noch fortschrittlicher Gerätschaft in Die schweigende Welt (1956, Co-Regie von Louis Malle, dem eine meisterliche räumliche Inszenierung der Tiefe und der Unterwasseraufnahmen gelang) und Welt ohne Sonne (1964, eine Technikschlacht mit unterseeischer Forschungsstation und U-Boot) den Rang ablief. Cousteaus Bilder wirkten damals so sensationell, dass sie sogleich als kaum verhohlene Inspiration für die Unterwasseraction im James-Bond-Film Feuerball (1965) dienten.

DIE SCHWEIGENDE WELT (1956) © Pierrot le fou / AL!VE

Der Produzent Jacques Perrin war ein weiterer Perfektionist spektakulärer Naturbilder nach neuestem Stand der Technik. Sein Mikrokosmos (1996) vergrößerte das Leben von Insekten auf die Dimensionen der Kinoleinwand, in Nomaden der Lüfte (2001) ließ er sein Publikum mit den Zugvögeln fliegen und mit modernster digitaler Kameratechnik tauchte er erneut in Unsere Ozeane (2009) ein. Perrins Filme verzichten dabei auf wissenschaftliche Einordnung, der Erzähltext ist minimalisiert, stattdessen setzt Perrin gänzlich auf die mit emotionalisierender Musik unterlegte visuelle Wirkung seiner Naturinszenierung.

MIKROKOSMOS (1996) © Arthaus / Kinowelt / StudioCanal

Das Problem des Tierfilmgenres blieb, dass seine Bilder schnell reproduzierbarer wurden und sie ihre Exklusivität verloren. Denn die narrative Eindringlichkeit der Grzimek-Filme oder die visuelle Virtuosität von Die schweigende Welt, welche den Filmen eine zeitlose Qualität verliehen, fand sich nur in wenigen Werken, so dass zum Beispiel selbst Hass und Cousteau schon ab Mitte der 1960er vermehrt für das Fernsehen statt fürs Kino arbeiteten, und sogar Bernhard Grzimek beschränkte sich nach dem Unfalltod seines Sohnes Michael bei den Dreharbeiten zu Serengeti darf nicht sterben auf den kleinen Bildschirm.

Rückkehr zur großen Leinwand

Mit Die Reise der Pinguine eroberte hingegen Jacquet ein weiteres Mal die Leinwand für das Genre. Seine ersten filmischen Erfahrungen machte der 1967 geborene Franzose als Kameramann für Hans-Ulrich Schlumpfs Essayfilm Der Kongress der Pinguine (1993), in welchem sich Schlumpf als Übersetzer und Interessenvertreter der Tiere im Angesicht akuter Umweltzerstörung inszeniert.

Jacquet geht in Die Reise der Pinguine aber noch deutlich weiter als zuvor Schlumpf und selbst Disney, jedenfalls in Hinblick auf eine auf Empathiebildung zielende Darstellung seiner Protagonisten, und lässt die dokumentarischen Aufnahmen von Pinguinmutter, Pinguinvater und dem im Verlauf der Handlung geborenen Pinguinkind selbst als Ich-Erzähler aus dem Off kommentieren. Wenn Frau Pinguin ihr Ei legt, zeigt sich entsprechend auch Herr Pinguin bedeutungsschwanger und erklärt uns: »Dieses winzige Herz, das verborgen in seiner Schale schlägt, ist sehr gefährdet in diesem großen Land aus Eis. Hier mehr als anderswo braucht es so viel Kraft, um Leben zu schaffen.«

DIE REISE DER PINGUINE (2005) © Arthaus / Kinowelt

Musikalisch untermalt durch jene Art von Ethnopop, die bereits Perrins Arbeiten dominierte, projiziert Jacquet die großen existenziellen Fragen auf die possierlichen Seevögel, die von ihrer Kaiserpinguinkolonie als »unser Volk« sprechen. Häufig repetieren Herr und Frau Pinguin die gerade ausgesprochenen Worte des anderen, um die innere Harmonie ihres »Tanzes« – die gewählte Metapher für das Fortpflanzungsverhalten – durch dieses Stilmittel fühlbar zu machen. Schließlich die Katharsis, in der die Pinguine ihre Brutgebiete zurück ins Wasser springend verlassen und Pinguin jr. euphorisch verkünden darf: »Von nun an sind auch wir Kinder des Ozeans.«

Dieser für einen Dokumentarfilm schon ungewöhnliche Weg der Vermenschlichung ist mitnichten ohne Kritik geblieben; für mehrere Märkte wurde deswegen eine alternative Fassung mit einem herkömmlichen Erzähler gefertigt.

Fortsetzungen, Nachfolger und ein authentischer Hang zum Pathos

Die 2017 entstandene Fortsetzung Die Reise der Pinguine 2 – Der Weg des Lebens setzt dementsprechend wieder auf den bewährten Off-Sprecher, der zwar auch vor gelegentlichen Übersteigerungen nicht zurückschreckt (»Unter den Wundern der Natur ist das Leben des Kaiserpinguins die unglaublichste Erfolgsgeschichte…«) aber im Vergleich zum Vorgängerfilm dann doch sachlicher bleibt.

RÜCKKEHR ZUM LAND DER PINGUINE (2023) © MFA+

Statt der z.B. nach dem Legen des Eis weiter oben zitierten Kommentierung von Herrn Pinguin belässt es der Sprecher jetzt bei einem nüchterneren Hinweis: »Eine längere Berührung mit dem Eis würde für den Embryo hinter der Schale den sicheren Erfrierungstod bedeuten.« Ein neuer Reiz der im Wesentlichen bereits bekannten Geschichte eines abermals individualisierten Kaiserpinguinpaares entwickelt sich aus einer leicht verschachtelten, etwas kunstvolleren Erzählstruktur sowie aus noch spektakulären Aufnahmen, insbesondere was den Einsatz der Unterwasserkameras betrifft.

Zu den weiteren Arbeiten Jacquets gehören Der Fuchs und das Mädchen (2007), ein in mitteleuropäische Waldidylle gebetteter Spielfilm, sowie eine weitere auf Überwältigung durch Gewaltigkeit der Bilder setzende Dokumentation über den tropischen Regenwald, Das Geheimnis der Bäume (2013).

Sein jüngster Film Rückkehr zum Land der Pinguine (2023) ist, zumindest was den deutschen Verleihtitel betrifft, eine kleine Mogelpackung – der Originaltitel lautet auch Voyage au pôle sud, und der Film schließt mehr an Jacquets (allerdings weniger erfolgreichem) Zwischen Himmel und Eis (2015) an, in dessen Zentrum der Polarforscher Claude Lorius (1932-2023) steht, ein früherer Mahner vor den Gefahren des Klimawandels.

ZWISCHEN HIMMEL UND EIS (2015) © Weltkino / Universum

In Rückkehr zum Land der Pinguine bereist der inzwischen sichtlich gealterter Jacquet nochmals eine menschenleere Antarktis, begegnet dabei zwar auch wieder kurz seinen Kaiserpinguinen, aber versucht einen seine bisherigen Arbeiten weiterentwickelnden visuellen Ansatz. Bis auf eine Einstellung in schwarz-weiß gehalten, ästhetisiert er die Eiswüste als unberührte Naturlandschaft, während er in seinem an einen vermeintlichen Briefadressaten, tatsächlich natürlich an den Zuschauer gerichteten Monolog vor deren Gefährdung durch zerstörerisches menschliches Handeln warnt.

BLACKFISH (2013) © EuroVideo

In seiner Langsamkeit grenzt sich Jacquet von jener Aufgeregtheit ab, die mit modernen aktivistischen Dokumentationen wie Die Bucht (2009) oder Blackfish (2013) inzwischen zum Standard geworden ist. Die Rückkehr zum Land der Pinguine wirkt häufig sentimental verklärend, aber es lässt sich nicht leugnen, dass zumindest Jacques gelegentlicher Hang zum Pathos stets authentisch ist.

Carsten Tritt

Dieser Beitrag stammt aus dem Filmkalender 2025. Auch der Kalender für 2026 enthält Portraits von Filmschaffenden und spannende Textbeiträge.