Französisches Kino ohne Daniel Auteuil? Denkbar, aber sinnlos. Wie kaum ein Zweiter verkörpert Auteuil das Selbstverständnis einer Nation, wie sie sich gern selbst sieht.
Dabei war es eigentlich ganz anders geplant. Das Theater sollte es sein. Nach drei Absagen vom Pariser Konservatorium, der prestigeträchtigsten Schauspielschule des Landes, fiel der Groschen, dass sein Talent und seine verschmitzt-linkische Attraktivität auf der großen Leinwand eher gefragt seien. Wem galt es zu diesem Zeitpunkt noch etwas zu beweisen? Schließlich stand er schon seit dem vierten Lebensjahr auf den Theaterbühnen. Zeit für neue Herausforderungen. Statt, mit dem Ritterschlag der Akademie versehen, den Lebensabend auf den Bühnen zu verbringen, erklomm der Geschmähte mit unermüdlichem Eifer langsam doch stetig die Sprossen der Erfolgsleiter.
Eben noch schlich in der dritten Reihe von TV-Produktionen durchs Bild, fand er sich bald mit einem kleinen Part in Gérard Pirès Die Entfesselten zwischen Jean-Louis Trintignant und Catherine Deneuve wieder. Auf Nebenrollen wie in Das Ende der Nacht folgten größere Auftritte und erste Hauptrollen in Der Filou oder im Euro-Action-Klopper Der Linkshänder. Mit bis zu sechs Kino-Auftritten pro Jahr ackerte er sich ins Bewusstsein des Publikums, so dass er bald auf Augenhöhe mit Topstars wie Montand und Depardieu (im 1986er Jean de Florette) aufspielen konnte. Stardom!
Die „Marke Auteuil“ festigte sich im Rollenbild eines zur Selbstzufriedenheit neigenden Großbürgers, der sich für vollendet hält, von den Böen des Schicksals jedoch gezwungen wird, die Sinnhaftigkeit seines Daseins zu hinterfragen. Während er als Schnösel-Yuppie in Coline Serreaus Milch und Schokolade durch den Kontakt mit der schwarzen Putzfrau zum Umdenken ermuntert wird, befreit ihn in Jaco Van Dormaels Am achten Tag die Männer-freundschaft mit einem jungen Mann mit Down-Syndrom aus dem emotionalen Abseits. Auch in Liebesdingen sieht man ihn, wie in der federleichten Herbstromanze Malen oder Lieben, immer wieder gern über seinen Schatten springen.
Wer Böses denkt, darf die Mär vom guten alten, doch auch lernfähigen Europäer mit großem Herzen als wohlig-fahlen Seelenbalsam sehen, den Auteuil mal rührig, mal heiter, doch stets effektiv aufzutragen versteht. Und doch: Dass er hin und wieder bereit ist, das gefällige Image zu unterlaufen, zeigte sich in Michael Hanekes subtiler Thriller-Skizze Caché. An der Seite Juliette Binoches gibt er dort einen Saubermann, wie es ihn politisch korrekter und mülltrennender nicht geben kann, der sich plötzlich mit gleichsam persönlicher wie historischer Schuld konfrontiert sieht. Statt jedoch Konsequenzen zu ziehen, zieht sich der besserverdienende Vorzeige-Europäer hier in die Verdrängung zurück, hüllt sich in selektive Amnesie und harrt aus, bis sich das Problem mit tragischer Endgültigkeit von selbst löst.
Mit einem Mal zeigte sich der verkniffene Musterknabe, mit dem sich das Publikum sonst so gern identifiziert, von seiner ebenso beklommenen wie (für den Zuschauer) beklemmenden Seite, in der sich plötzlich niemand mehr wiedererkennen wollte. Oft ein Indiz, einem Nerv nahegekommen zu sein. Der Mut zur Subversion, die eigene, oft auf vermeintliche Arglosigkeit gebaute Popularität als Waffe gegen ein allzu (selbst)zufriedenes Publikum einzusetzen, ist ihm hoch anzurechnen und lässt so manche Seichtigkeit vergessen.
Robert Cherkowski im Filmkalender 2020
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