Hans Albrecht Lusznat über seine Recherchen zum Entstehen der Kameraverbände in Deutschland für das Buch Unter Kameraleuten.

Am Anfang stand die Jahreszahl 1925, an der sich vor 100 Jahren zum ersten Mal die Kameraleute zu einem Berufsverband zusammengeschlossen haben sollten. Diese Zahl wurde schon seit längerer Zeit immer wieder kolportiert, obwohl sich dafür in einer Internetrecherche keine Belege finden ließen. Diejenigen, die das Jahr 1925 ins Spiel gebracht hatten, sind inzwischen alle verstorben. Die ältesten heute noch lebenden Kameraleute sind erst in der Nachkriegszeit gegen Ende der 1950er Jahre in den Beruf gestartet und können daher das damals schon gut 30 Jahre zurückliegende Gründungsereignis nur aus den Erzählungen der Altvorderen kennen.

Besuch des Klubs für Kameratechnik KfK im Agfa Versuchsatelier am 12. Dezember 1932

Als 2022 erstmals die Frage aufkam, was genau sich in den 1920er Jahren abgespielt hat, sah es hinsichtlich konkret belegbarer Fakten sehr mager aus. Ein Berufsverband ist ja nichts Konkretes, ist keine Hardware, die sich dinglich manifestiert und deshalb vielleicht noch erhalten ist, so wie die erste verkäufliche Leica-Kamera aus dem Jahr 1925. Ein Berufsverband ist eine Beziehungs-Idee, die in der Kommunikation mehrerer Menschen entsteht, ihr Handeln beeinflusst und bestenfalls auf die Gesellschaft wirkt, um – und das ist der Sinn der Sache – die Situation der Mitglieder, im konkreten Fall der Kameraleute, zu verbessern.

Wo kann man etwas über diese Idee finden, wenn die agierenden Protagonisten alle schon verstorben sind? Nur wenn diese Ideen medial fixiert worden sind, also aufgeschrieben wurden, können wir noch Spuren der Verbandsarbeit feststellen.

Spurensuche

Die ersten Belege für die Existenz eines Verbandes der Kameraleute fanden sich dann in den Berliner Adressbüchern der späten 1920er Jahre. Im Adressbuch von 1927 ist der Klub der Kameraleute Deutschlands mit Adresse geführt. Es hat ihn zu diesem Zeitpunkt schon wirklich gegeben. Fast alle Verbände sind als eingetragene Vereine registriert. Satzung und wichtige Unterlagen zu Beschlüssen, Vorstandspersonen sind beim zuständigen Gericht hinterlegt und es gilt für alle Finanzunterlagen und die relevante Kommunikation eine Aufbewahrungspflicht von zehn Jahren. Das Berliner Registergericht verfügt über sehr viel ältere Unterlagen, aber durch den Krieg ist viel zerstört worden.

Ergiebig war dann die Suche in den Nachlässen der Kameraleute der 1920er Jahre. Die Deutsche Kinemathek hat nämlich die Nachlässe vieler wichtiger Personen des Filmgeschäfts gesammelt, darunter auch die einiger Kameraleute. Als Beifang ihrer Arbeitsunterlagen sind dort auch ein Brief, eine Postkarte, ein Foto, eine Mitgliederliste aus dem Jahr 1927 und eine Satzung erhalten, eindeutige Hinweise, dass sich die Kameraleute in den 1920er Jahren organisiert haben.

Titelseite der vierseitigen Mitgliederliste des Klub der Kameraleute Deutschlands aus dem Jahr 1927

Diese Schriftstücke stammten vom Klub der Kameraleute Deutschlands, vom Verband der Kameraleute Deutschlands und vom Klub für Kameratechnik, also gleich drei unterschiedlichen Zusammenschlüssen. Immerhin gab die Mitgliederliste Auskunft, wer alles 1927 zum Klub der Kameraleute gehört hatte und wer im Vorstand war.

Guido Seeber, der bekannteste Kameramann dieser Jahre, kam wider Erwartung in dieser Liste gar nicht vor. Seeber, 1879 in Chemnitz geboren, zählt zu den Pionieren der Kameraarbeit und erlernte im väterlichen Fotoatelier das Handwerk. Schon 1897 kauften die Seebers eine Filmkamera und drehten eigene Filmstreifen, um sie in verschiedenen Lokalitäten vorzuführen. Seeber hat in verschiedenen Zeitschriften publiziert und Bücher geschrieben, hat 1920 die Deutsche Kinotechnische Gesellschaft mitgegründet, die Babelsberger Ateliers mit aufgebaut, über 150 Filme gedreht und einen umfangreichen Nachlass angehäuft, der heute mit über 1.800 Positionen bei der Kinemathek liegt.

Guido Seeber im Editorial der Filmtechnik, im ersten heft des Gründungsjahrs 1925

Aber über den Klub oder den Verband der Kameraleute finden sich im Seeber-Nachlass keine Hinweise. Wie so viele Kollegen hat Seeber die Einladungen und sonstigen Unterlagen einfach nicht aufgehoben, obwohl er an der Vereinsgründung des Klubs der Kameraleute Deutschlands beteiligt war. Er war auch Vorstand des Klub für Kameratechnik. Schon früh zeichnete sich hier eine Schwierigkeit ab: Man findet leichter die Gebrauchsanweisung einer Kamera als das Protokoll einer Vereinssitzung.

Auf Anfang

Zum Glück waren viele Vereine bestrebt, für die Kommunikation mit ihren Mitgliedern ein Vereinsorgan zu suchen oder einzurichten. Dazu boten sich bestehende Fachzeitschriften an, die für die Vereinsanliegen eine eigene Rubrik einrichteten und so ihren Leserkreis erweitern konnten.

Auch Film & TV Kamera war 1951 zunächst als Vereinsorgan des Club deutscher Kameramänner gegründet worden. Zeitschriften aber sind von verschiedenen Bibliotheken systematisch gesammelt worden und nur deshalb kann man heute die Gründung des ersten Berufsverbands der Kameraleute relativ genau nachvollziehen.

Mitglieder des Klubs der Kameraleute Deutschlands 1927 beim Jahresbankett
Filmtechnik 1927, Heft 13, S. 254

Es waren die Vertreter der technischen Fachpresse, denen verschiedene Kameraleute ihr Leid geklagt hatten und die dann die Angelegenheit in die Hand nahmen. Ernst Erwin Haberkorn, Hauptschriftleiter der Filmtechnik, Dipl.-Ing. Alexander Kossowsky, Schriftleiter der Kinotechnischen Rundschau und des Film-Kuriers und Dr. Georg Viktor Mendel, Redakteur der Lichtbildbühne suchten sich aus dem Kino-Adressbuch alle Berliner Kameraleute heraus und schickten ihnen Einladungen zur Gründungsversammlung, die dann am 28. November 1925 stattfand.

Alte Fragen in neuen Zeiten

Nach einer umfangreichen Recherche in verschiedenen Archiven lagen dann ungefähr 4.500 digitalisierte Dokumente vor, die die Geschichte der Verbandsarbeit der Kameraleute in den vergangenen hundert Jahren unter den verschiedenen Aspekten widerspiegeln.

Was hat die Kameraleute beschäftigt? Wie war ihre Stellung im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gefüge? Wie wurde man Kameramann oder Kamerafrau? Wer hatte die Rechte an den Bildern? Welche Konflikte gab es in der Berufsgruppe? Welche neuen Techniken beschäftigten die Kameraleute? Wie haben der Tonfilm und das Fernsehen die Arbeit verändert? Welche Rolle spielten die Kameraleute im Dritten Reich? Was haben die Berufsverbände erreicht?

Auf all diese Fragen versucht das Buch Unter Kameraleuten unter Berücksichtigung der zeitgeschichtlichen Aspekte eine Antwort zu geben, soweit es die Quellenlage zulässt. Erstaunlich ist, dass viele Problematiken des Berufslebens schon seit der ersten Verbandsgründung diskutiert werden und heute noch genauso aktuell sind wie damals.

Das Buchprojekt wurde vom Kulturwerk der VG Bild Kunst unterstützt. Für die erhaltenen Mittel muss man nach Abschluss des Projektes einen Verwendungsnachweis vorlegen. Deshalb empfiehlt es sich, die Arbeiten begleitend zu dokumentieren.

Nach Abschluss habe ich 6.803 Dateien auf meinem Computer gespeichert, das können einzelne Bilder sein bis zu ganzen digitalisierten Büchern. Insgesamt ein Volumen von 39,4 GigaByte. Die Arbeitszeit summiert sich auf 1.750 Stunden. Wenn man als Autor den gültigen Mindestlohn (2024) beanspruchen würde, dann hätte das Projekt bis zur Manuskriptabgabe ein Produktionsvolumen von 21.717,50 €. Von der ersten Idee bis zum fertigen Druck sind zweieinhalb Jahre vergangen. Das angehäufte Material hätte auch noch für einen zweiten Band gereicht.

Hans Albrecht Lusznat

Dieser Bericht erschien zuerst in der Film & TV Kamera, Heft 4/2025, Seite 60-61.