FILMgeBlätter

Der Blog des Schüren Verlags über Kino, Medien, Filme und was sonst so betrachtet werden kann

DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT – einer der besten Filme des Jahres 2022

Leicht erzähltes, tiefgründiges Drama um die Selbstfindung einer jungen Frau mit großer Sensibilität für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbrüche

Es ist Sommer in Oslo, der Tag neigt sich seinem Ende zu. Goldenes Licht schwebt über der Stadt, die sich dem Blick einer jungen Frau (Renate Reinsve) wie ein Panorama unendlicher Möglichkeiten öffnet. Rauchend steht sie in einem zarten schwarzen Abendkleid auf einer Anhöhe, hat für einen Augenblick das laute Treiben einer Feier in der hinter ihr liegenden Villa verlassen, um kurz ganz bei sich zu sein. Statt einer Handtasche trägt sie nur ihr Smartphone bei sich. Der auftauchende Reflexionsraum verschließt sich schon wenige Augenblicke später, als ihre Aufmerksamkeit ganz automatisch zurück zum Bildschirm wandert. Dabei ist dieser Moment ein Wendepunkt in Julies Leben. Wie sich herausstellen wird, markiert er eine Zäsur mit weitreichenden Folgen.

Renate Reinsve als Julie in DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT
(‹Verdens verste menneske›, © Oslo Pictures / Plaion)
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«Mythos Gründgens nur was für Grufties?»

Kristina Höch über ihre Recherche zu ihrem Buch über die filmischen Arbeiten des Gustaf Gründgens

Gustaf Gründgens und der deutsche Film – eine Hassliebe und eine Zweckgemeinschaft, die den Tausendsassa, der Herz und Hirn früh an das Theater verlor, in die Köpfe der Filmbesuchenden katapultierte. Der deutsche Film profitierte von Gründgens und Gründgens profitierte – auch aufgrund seiner Stellung im nationalsozialistischen Regime – in finanzieller und karrieretechnischer Hinsicht vom deutschen Film, wenngleich sich schon kurz nach Beginn der Kennenlernphase Ermüdungserscheinungen einstellten, die mit der Zeit in Misstrauen umschlugen.

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Das japanische Kino. Triumvirat der Meisterregisseure

Mit Akira Kurosawas Regiedebüt Judo Saga begann 1943 das Goldene Zeitalter des japanischen Kinos, 1953 legten Kenji Mizoguchi und Yasujiro Ozu ihre eigenen Großwerke nach

Vor genau 80 Jahren, mitten im Kriegsfrühling 1943, kam ein unscheinbarer Film in die japanischen Kinos: Eine Romanverfilmung namens Sanshiro Sugata, über einen rebellischen Jugendlichen, der durch Demut und Selbstdisziplin zum Judo-Meister aufsteigt und sich am Ende den Ruhm und das Mädchen erkämpft. Trotz fünf Remakes und zahlreicher Fortsetzungen wäre der Film, der in den 1970ern als Judo Saga nach Amerika kam und in Deutschland als Judo Saga – Die Legende vom großen Judo veröffentlicht wurde, heute international sicher vergessen – wäre er nicht das Regiedebüt eines gewissen Akira Kurosawa.

Judo Saga © BFI
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Guardians of the Galaxy – Mit Musik der Vergangenheit in die Zukunft

Das Mixtape in Peter Quills Walkman

«I’m Not in Love», so beginnt der Soundtrack zur Eingangssequenz des Marvel-Films Guardians of the Galaxy (USA 2014). Der Lead-Sänger der Band 10cc, Eric Stewart, bekräftigt im gleichnamigen Song von 1975 vordergründig nicht verliebt zu sein. Im Gegensatz dazu führt der gesamte Songtext aber Gründe für seine Liebe an. In der Eingangssequenz des Films wird der Song dazu verwendet, die Ausgangssituation des Protagonisten und Raumfahrers Peter Quill im Marvel-Abenteuer Guardians of the Galaxy zu beschreiben, den eben dieser Gefühlszustand über den ganzen Film begleitet. Im Soundtrack zum Film spielen elf weitere Songs aus den 1960er- bis 1970er-Jahren eine tragende Rolle.

Peter Quills Walkman mit dem Awesome Mix Vol. 1
(Guardians of the Galaxy; USA 2014)
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Die «filmende Bäckersfrau» Elisabeth Wilms

Filmen als Hobby und Beruf

Alexander Starks Dissertation Die «filmende Bäckersfrau» Elisabeth Wilms Amateurfilmpraktiken und Gebrauchsfilmkultur widmet sich der Dortmunderin Elisabeth Wilms (1905–1981) und ihrer Leidenschaft für das Filmen. Was als Hobby begann, entwickelte sich nach dem Ende des Krieges schnell zu einem einträglichen Geschäft an der Schnittstelle von Amateur- und Gebrauchsfilm.

Elisabeth Wilms wurde am 22. Juli 1905 unter dem Geburtsnamen Lisette Helene Elisabeth Meyer als eines von sechs Kindern des Ehepaars Wilhelm und Anna Meyer in Lengerich-Hohne im Tecklenburger Land geboren. Die Familie betrieb im Ort eine Wurstkonservenfabrik. Über ihre ersten 26 Lebensjahre, in denen sie in ihrem Heimatort lebte und aufwuchs, geben die Dokumente, die sie selbst
hinterließ, kaum Auskunft. Der Großteil der verfügbaren Quellen zu Wilms’ Biografie ist zudem erst viele Jahre nach der Zeit entstanden, auf die sie Bezug nehmen.

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Cool in jeder Lebenslage – Michael Caine

Ein Gastbeitrag des ray Filmmagazin

Von London über Hollywood nach Gotham City – Michael Caine hat eine lange, beeindruckende Karriere hinter sich. Er spielte Playboys und Agenten, Liebhaber und Killer. Nun wird er am 14. März 90 Jahre alt.

»Tony Curtis rettete mir das Leben.« Michael Caine weiß, wie man eine Geschichte erzählt, und so erwies er sich nach der Uraufführung der restaurierten Fassung von Sleuth, gleich am zweiten Abend der Viennale 2012 gezeigt, eine dreiviertel Stunde lang als genialer Unterhalter, der ganz ohne Allüren wundervolle Anekdoten aus seinem Leben verriet. Tony Curtis habe ihm Anfang der sechziger Jahre bei einem zufälligen Treffen in einer Hollywood-Bar kurzerhand das Rauchen verboten. Michael Caine gehorchte – und bekam keinen Lungenkrebs. Auch der Rat von John Wayne sei ihm bei seiner Karriere nützlich gewesen: »Merk dir drei Dinge: Sprich mit tiefer Stimme. Sprich langsam. Und sprich nicht zu viel.«

Michael Caine in "Play Dirty": Er trägt Uniform und zündet sich cool eine Zigarette an einer Kerze an
Michael Caine in ‹Play Dirty› (‹Ein dreckiger Haufen›)
(André De Toth 1969)
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DER RAUSCH – einer der besten Filme des Jahres 2021

Facettenreiche Tragikomödie um vier Lehrer an einer dänischen Schule, die ihre verbrauchte Lebensenergie mit Wein und anderen Aufputschmitteln wieder anzufachen versuchen

Die Schule ist vorbei! Nach der letzten Prüfung rasen Jugendliche mit vollen Bierkästen durch den Stadtpark und leeren die Flaschen in atemberaubender Geschwindigkeit. Wird jemandem dabei schlecht und muss sich gar übergeben, so bedeutet das Punkteverlust. Volltrunken ziehen die Schüler johlend durch die Stadt, überwältigen einen Wachmann in der U-Bahn und fesseln ihn mit seinen eigenen Handschellen an die Haltestange. Das geht weit über die üblichen Exzesse zum Schulabschluss hinaus. Genug ist genug, meint die Schulleiterin und warnt eindringlich vor den Gefahren des Alkohols. Noch weiß sie nicht, mit welchen Abgründen an Sucht sie es bald im eigenen Kollegium zu tun bekommt.

Mads Mikkelsen trinkt aus einer Sektflasche, umringt von feiernden und trinkenden Schüler*innen
Mads Mikkelsen in DER RAUSCH
(© Henrik Ohsten / 2020 Zentropa Entertainments3 ApS, Zentropa Sweden AB, Topkapi Films B.V. & Zentropa Netherlands B.V.)
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«Von den Figuren her denken» – Ein Gespräch mit Thomas Arslan

Ein Auszug aus Band 86 der Zeitschrift AugenBlick: Ein Gespräch mit Thomas Arslan

Das Gespräch mit Thomas Arslan (TA) haben Özkan Ezli (ÖE) und Bernd Stiegler (BS) am 29. und 30. Juli 2022 in Berlin geführt.

BS: Wir würden gerne mit dir zu Beginn über den Stadt- und Naturraum sprechen, weil beide Räume oder Raumordnungen in deinen Filmen eine große Rolle spielen. In allen deinen Filmen geht es auch um das Durchqueren und Kartieren von Räumen. Bei Mach die Musik leiser ist es Essen; das ist schon etwas länger her. Bei der Berlin-Trilogie erst die Gegend um das Kottbusser Tor, dann bei Der schöne Tag andere Teile von Berlin zwischen Tiergarten, Mitte und Kreuzberg. Auch Im Schatten ist ein Berlin-Film und beginnt mitten in der Stadt in der Nähe der Friedrichstraße und mit der U-Bahn-Station Stadtmitte. Am Ende sind es die Randgebiete und zwischendrin allerlei Transiträume. Meine Frage wäre nun: Ist Berlin ein heimlicher Protagonist deiner Filme?

Florian, Frank und Andy warten auf Freunde (Mach die Musik leiser, 1993/94)
Florian, Frank und Andy warten auf Freunde (Mach die Musik leiser, 1993/94)
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Humorvolle Zombies?

Sassan Niasseri über die Arbeit an seinem Zombie-Buch Shoot `em in the Head

Ich hatte mein Konzept fertig, die ersten Interviewpartner schon im Sinn. Also: Zombies, let‘s go! Und dann … hat meine Verlegerin mächtig Druck aufgebaut. Sie tat es, ohne es zu ahnen. Denn mit dem Okay, dieses Buch bei ihr veröffentlichen zu können, äußerte sie auch einen Wunsch, den ich als grundsätzliches Kompliment verstehen möchte: »Können wir also gerne umsetzen. Wenn es denn in einem Ton geschrieben ist, der genauso humorvoll ist, wie der in Ihrem Buch davor.« Zweimal las ich ihre Antwort. Ich schrieb ihr nicht zurück. Ich starrte für einige Minuten auf meinen Bildschirm. Als meine Frau Stunden später von der Arbeit nach Hause kam, wartete ich schon an der Tür: »Ines, es könnte ein Problem geben.«

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Amateurfilme und Gebrauchsfilmkultur

Alexander Stark über seine Dissertationsschrift über die «filmende Bäckersfrau» Elisabeth Wilms

Dortmunds Stadtzentrum liegt in Trümmern. Die Kamera schwenkt über endlose Schuttberge, zerstörte Gebäude, halbierte Treppenhäuser und den stark beschädigten Glockenturm einer Kirche. Inmitten dieses Chaos hausen Menschen – in feuchten Kellern, in Wohnungen, denen ganze Wände fehlen, in selbstgebauten Verschlägen. Unterernährte Kinder erkunden in zerschlissenen Kleidern die Ruinen. Um zu überleben, stehlen die Menschen Kohle von Güterwaggons, durchsuchen Müllhaufen nach Essensresten und nützlichen Dingen und sind auf die Unterstützung der zahlreichen internationalen Hilfsorganisationen angewiesen, die in der Stadt aktiv sind.

Links die Vorlage für das Textinsert zur Authentifizierung des Filminhaltes von ‹Dortmund November 1947›. Es handelt sich um einen Pappkarton, der im Stadtarchiv Dortmund überliefert ist und den Wilms abgefilmt hat. Rechts eine Totale aus der Eröffnungssequenz von ‹Schaffende in Not›, die im Kontext des Films dazu dient, das große Ausmaß der Zerstörungen in Dortmund greifbar zu machen.
Links die Vorlage für das Textinsert zur Authentifizierung des Filminhaltes von ‹Dortmund November 1947›. Es handelt sich um einen Pappkarton, der im Stadtarchiv Dortmund überliefert ist und den Wilms abgefilmt hat. Rechts eine Totale aus der Eröffnungssequenz von ‹Schaffende in Not›, die im Kontext des Films dazu dient, das große Ausmaß der Zerstörungen in Dortmund greifbar zu machen.
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