4. 4. 1940 – 3. 7. 2018

Es ist so einfach, ein schönes Bild zu machen“, sagte Robby Müller einmal in einem Interview und fügte hinzu: „Viel schwieriger ist es, ein Bild zu machen, das nicht komponiert ist.“ Diese Sätze könnte man als künstlerisches Credo über das einzigartige Œuvre des niederländischen Kameramanns setzen. Müller ist seit vier Jahrzehnten ein herausragender Vertreter seiner Zunft, in Europa genauso hochgeschätzt wie in Nordamerika. Als er im Jahr 2003 mit dem Marburger Kamerapreis ausgezeichnet wurde, hob der Beirat in seiner Begründung zwei Eigenschaften heraus, die Müllers Arbeitsmodus auszeichnen: „Die Neugierde auf das, was jenseits der Professionalität des Berufes in der Sprache des Kinos zu entdecken ist, und das Vertrauen in die gemeinsam getragene Arbeit an einem Film als ideeler Kraft für die Utopie eines Einzelnen, eines Regisseurs.“

Wie kaum ein anderer ist Müller imstande, sich der visuellen Vision des Autors unterzuordnen, ohne sich selbst zu verleugnen. Die Bedingung: absolutes gegenseitiges Vertrauen. In Wim Wenders fand der Niederländer von Beginn seiner Karriere an bis in die jüngere Gegenwart den perfekten Kreativ-Partner auf dem Regiestuhl. Von Wenders Hochschul- und Kurzfilmen bis BUENA VISTA SOCIAL CLUB (1999) war Müller fast an allen Produktionen beteiligt. Er prägte den „Wenders-Touch“: Fließende Kranfahrten und kreisende Kamerabewegungen, die leere Flächen zu reichen Assoziationsfeldern verdichteten. In DIE ANGST DES TORMANNS BEIM ELFMETER (1972) etwa, in IM LAUF DER ZEIT (1976) oder auch in BIS ANS ENDE DER WELT (1991). Für FALSCHE BEWEGUNG (1974) bekam Müller das Filmband in Gold, für PARIS, TEXAS (1984) die Goldene Kamera – nur zwei von ungezählten Auszeichnungen im Laufe seines langen Berufslebens.

Foto Robby Müller: Rolf Coulanges

Wie reflektiert Müller (zusammen)arbeitet, belegt eine Produktionsnotiz aus ALICE IN DEN STÄDTEN. Ursprünglich wollten Wenders und er den Film in Farbe drehen, vor allem auf Wunsch des Verleihers und des Sponsors Polaroid. Entgegen aller ökonomischen Vernunft entschieden sich die beiden schließlich für Schwarzweiß. „Farbe hätte zu viele zusätzliche Informationen bedeutet, die vom eigentlichen Inhalt der Erzählung abgelenkt hätten“, erzählte Müller in einem Gespräch. „Das kleine Mädchen, von dem der Film handelt, wäre völlig verloren gewesen in New York, dieser lauten, exotischen Stadt.“

Müller wurde auf Curaçao geboren, der größten Insel der Niederländischen Antillen in der Karibik. Sein Vater arbeitete im Ölgeschäft und war viel auf Reisen, die Familie stets im Gepäck. Mit der Amateurkamera des Vaters machte Müller seine ersten Erfahrungen mit Medien. Nach seinem Studium an der Filmhochschule in Amsterdam war er zunächst Assistent des niederländischen Kameramanns Gerard Vandenberg und erhielt 1970 seinen ersten großen Auftrag in Hans W. Geißendörfers Film DER FALL LENA CHRIST. Über Geißendörfer kam er mit dem Neuen Deutschen Film in Kontakt – und mit Wim Wenders. Schon ab 1978 jedoch reichte Müllers Arbeitsradius weit über Deutschland hinaus. In Singapur drehte er mit Peter Bogdanovich SAINT JACK (1979), für William Friedkin fotografierte er den Polizeithriller LEBEN UND STERBEN IN L.A. (1985).

Neben der Zusammenarbeit mit Wenders machten ihn vor allem jene mit zwei anderen Regisseuren berühmt: Jim Jarmusch und Lars von Trier. Für Jarmusch schuf er mit seinen geliebten Schwarweiß-Bildern die teils mystisch-hypnotische Atmosphäre von DOWN BY LAW (1986) und DEAD MAN (1995); für Lars von Trier interpretierte er die strikten Dogma 95-Regeln für seine Ansprüche um und verlor trotz Hand- und Schulterkamera die Protagonisten nie aus dem Blick. DANCER IN THE DARK (2000) und BREAKING THE WAVES (1996) hießen die gemeinsamen Projekte, inzwischen feste Bestandteile des Filmkanons – auch dank der visuellen Virtuosität von Robby Müller.

Aus dem Filmkalender 2010